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Was ist in der augenblicklichen sprachpolitischen Lage zu tun?

Fritz Vilmar, Die Sprachdiskussion über das Stammtischniveau erheben. Niemand will eine Sprachpolizei.

In gekürzter Form erschienen in der 'Berliner Zeitung' vom 6. Juli 2001, S. 1. Nachfolgender ungekürzter Text ist entnommen aus: Berlin-Online v. 8. Juli 2001 ( http://www.BerlinOnline.de/aktuelles/berliner_zeitung/feuilleton/.html/54189.html ).Der Autor (E-Post-Adresse: vilmar@zedat.fu-berlin.de ; zu einem sprachbezogenen Seminar am OSI der FU Berlin: http://userpage.fu-berlin.de/~vilmar ) ist mit der Weiterverbreitung seines Beitrags einverstanden. D. Hg.


Mit der Sprache ist es wie mit dem Waldsterben: Muß doch halb so schlimm sein, schließlich erglänzen unsere Wälder jedes Frühjahr neu in strahlendem Grün. Schließlich sprechen doch die meisten Deutschen noch überwiegend Deutsch, Sprachforscher finden sogar, daß ihr Wortschatz größer geworden sei (bei Oberschülern!). Aber viele der Tonangebenden, die das große Wort bei uns führen, die Manager in der Wirtschafts- und Konsumgesellschaft oder in der Spaßgesellschaft, aber auch im Wissenschafts- und vor allem im Technologiebereich: die finden es mehr und mehr schick, "up to date", uns eine trübe Mischung aus Deutsch und Amerikanisch vorzureden. "Denglisch" nennen Kritiker das, und nach einer EU-Umfrage können sich nur 51 % der Bundesbürger englisch verständigen (in Ostdeutschland: 26 %) .

Sprache der "Elite" - und der Reklame.

Wie dies verquaste Eliten-Deutsch klingt, führte vor einiger Zeit im Fernsehen der Vorstandvorsitzer der Deutschen Bank, Breuer, vor : "Sobald wir das logo von den Aufsichtsräten bekommen haben, werden die businesse (Bisinisse!) zusammengebracht, dann wird ein gemeinsamer business-plan entwickelt, ein jobprofile (sprich Profeil) verabschiedet, und dann wird entschieden: wer macht den Job". Alles klar? In vielen deutschen Vorstandsetagen global engagierter Unternehmen wird nur noch englisch gesprochen. Die Werbeplakate und -kataloge großer Warenhäuser werden immer totaler anglisiert; da bekommt man dann bei Peek&Cloppenburg Troyer, Classic-Cabane, Basic, Gum-Rib-Stop-Nylon, Worker-Pants, Compos=E9-Look, Pull-up-Struktur, Designer-Sweats, Color-Blocking-Look, Stone-und Bleached-Blue und Aberdutzende ähnlicher Unverständlichkeiten angeboten, und ebenso denglisch tönt es aus der Kosmetik-Ecke; hier die ehedem eher schlichten Beiersdorf-Leute: Millenium Party, Promotion by NIVEA, einfach galaktisch, ...machen den Look spacig, Nail-Design, Eyeshadows, Orion Styling, Cosmic Shine, Deep Night, Spacy Eyes, nicht shiny genug, sexy gepflegte Haare sind ein Must...-

In der gesamten Spaßgesellschaft kann man, was die deutsche Sprache betrifft, nur "Land unter" rufen: Im - ohnehin hochgradig amerikanisierten - Filmmarkt machen sich die Produzenten meist garnicht mehr die Mühe, Titel zu übersetzen: die Deutschen sollen sich halt bei den amerikanischen was denken - oder auch nicht. In Sport-Sendungen kommen sich die Reporter zunehmend "cool" vor, wenn sie nurmehr angloamerikanische Ausdrücke für die Sportarten und -termini verwenden,-und nicht nur die "open-air"-Veranstaltungen werden weitestgehend denglisch beworben - die Schlager haben, von ein bischen Deutschrock abgesehen, ohne hin fast alle englische Texte; und insgesamt gibt es keine Veranstaltungen oder Ereignisse mehr, sondern nurmehr "events".

Vorherrschende Verantwortungslosigkeit.

Das Modewort liefert mir das Stichwort, um das Hauptproblem der deutschen Sprachmisere zur Sprache zu bringen: die Gedankenlosigkeit, mit der viele Verantwortliche, Politiker und Sprachwissenschaftler sie vom Tisch wischen und die Warner abfertigen. Kein Geringerer als unser Kulturminister, der ohne Sprachbewußtsein, aber modisch von "großen Events" spricht, die er nicht fördern wolle (FR 30. 5.), begibt sich richtiggehend auf Stammtischniveau, wenn er populistisch gegen die Idee eines Sprachschutzgesetzes loslegt: "Wir brauchen kein Sprachpolizei" .Nida-Rümelin weiß ganz genau, daß keiner von den Befürwortern eines gesetzlichen Sprachschutzes so etwas wie Polizeimaßnahmen im Sinn hat. Ebensogut könnte man Beamte der Gewerbeaufsicht als Fabrikschnüffler schlechtmachen.

Scheinargumente gegen ein Sprachschutzgesetz.

Ich möchte hier bei allen Diskutanten dafür werben, sich vor und in der Debatte um den Schutz der deutschen Sprache endlich besser zu informieren. Denn zur Zeit verharrt die Diskussion weitestgehend auf Stammtisch-Niveau. In der hier gebotenen Kürze kann ich nur die gängigsten Pseudoargumente niedriger gehängt werdenhängen -anschließend gehe ich etwas genauer auf das Zentralklischee von der "lebendigen Sprache" ein, die keines Schutzes bedürfe.

Monoton wiederkehrend wird der in 4 Jahren auf fast 12 000 Mitglieder angewachsenen Sprachschutzvereinigung, dem "Verein Deutsche Sprache",entgegengehalten, er betreibe deutschtümelnden Purismus. "Niemand wird vorschlagen, statt von 'Demokratie' in Zukunft von Volksherrschaft'sprechen .. statt von 'Nase' von 'Gesichtserker'" (leider nochmals Nida-Rümelin, im Brief an den VDS) - schon seine Redewendung enthüllt, daß er etwas unterstellt, das kein ernsthafter Sprachschützer anstrebt.

Ebenso stammtischflach ist die Unterstellung, Werthebach, der VDS und ihresgleichen zielten auf eine Bevormundung der Bürger, diese hätten dann wohl demnächst mit Bußgeldern für unkorrektes Sprechen zu rechnen. "Ist doch Quatsch, ist doch völliger Quatsch. Also so etwas kann man doch garnicht nicht mit Geld machen" - so wörtlich das tiefschürfende Urteil der Germanistin Ruth Reiher (in Radio Kultur), die offenbar noch nie etwas von dem französischen Sprachschutzgesetz (Loi Toubon) gehört hat, durch das keineswegs der einzelne Bürger, wohl aber, beispielsweise- sehr wirksam - Kosmetikhändler mit hohen Bußgeldstrafen belegt werden, die Salben mit ausschließlich englisch aufgedruckter Rezeptur in den Handel bringen.- Weitere Halbwahrheiten (Lichtenberg: Die schlimmsten Unwahrheiten sind Wahrheiten, mäßig entstellt): Das ist doch eine Jugendsprache, laßt doch den kids ihren Spaß; Englisch ist kürzer und cooler; wir sind im Zeitalter der Globalisierung, und Englisch ist unausweichlich als global language. Nicht zuletzt wird Kritik einer Amerikanisierung der deutschen Sprache in die rechte Ecke verwiesen - eine mutig anonym bleibende "antifa-Gruppe" versucht an der FU ein Seminar zu diesem Thema zu verhindern und hat ihre Begründungen an die Wände des OSI gesprüht ( Fotos!).

"Die Sprache reguliert sich selbst."

Die fatalste Stammtisch- (und Talkshow-) Parole aber lautet: Die Sprache bedarf keines Schutzes - geschweige eines Schutzgesetzes - sie ist "ein lebendiger Organismus", der sich von ganz alleine der unnötigen englischen Modeworte entledigt, so wie früher der französischen, "weil sich die Sprache wirklich selbst reguliert. Ja, da hab ich eigentlich ganz großes Vertrauen in die Sprache..." (Prof. Ruth Reiher; in Radio Kultur; ähnlich die Mehrzahl der akademischen Sprachforscher): Eine ebenso bequeme wie unzutreffende "liberale" Rechtfertigung des Nichtstuns, nach dem Muster der "Selbstheilungskräfte des Marktes", die bekanntlich auch nur sehr begrenzt funktionieren. In Wahrheit ist auch die Überschwemmung des Deutschen durch Gallizismen und ihre Degradierung durch die französische Herrensprache, über 200 Jahre vorherrschend, keineswegs von selbst verschwunden, sondern durch die selbstbewußte deutsche Sprachkunst der Klassiker, aber auch durch die Arbeit von Sprachgesellschaften,- und schließlich durch die Verordnungen sprachbewußter Behördenchefs - lange vor Werthebach. Zahllose gelungene Eindeutschungen gingen allein auf den (von Goethe zu Unrecht ironisierten, von Wieland dagegen hochgeachteten) Joachim Heinrich Campe (1746-1818) zurück. Einer der wenigen engagierten Sprachforscher unserer Tage, Helmut Glück, nennt "einige Beispiele für Verdeutschungen, die von Campe stammen: Stelldichein (Rendezvous), Bittsteller (Supplikant), Tageblatt (Journal), Kreislauf (Zirkulation), Festland (Kontinent), Feingefühl (Takt). Keine dieser Verdeutschungen ist lächerlich, denn sie haben sich durchgesetzt" . Und allein der Generalpostmeister v. Stephan sorgte Ende des 19. Jh. in seinem Bereich für die Verdeutschung von ca.600 französischen Bezeichnungen. Daß die Amerikanisierung der deutschen Sprache in wesentlichen Bereichen von selbst wieder verschwindet, ist noch viel unwahrscheinlicher. Die Zweckoptimisten in dieser Hinsicht, vorneweg die sprachpolitisch weitgehend inaktive (dafür aber staatlich hochalimentierte)"Gesellschaft für Deutsche Sprache", weigern sich, die massive ökonomische Macht zur Kenntnis zu nehmen, die (auch) hier im Hintergrund steht. Die Autoren der "Wirtschaftswoche" sehen da genauer hin: "Den globalen Siegeszug verdankt Englisch dem Aufstieg der USA zur Supermacht. Die amerikanische Vorherrschaft in Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und Politik ließ das Commonwealth-Idiom in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zur Weltsprache avancieren - mit weitreichenden Folgen: Rund 85 Prozent der internationalen Organisationen nutzen Englisch als Arbeitssprache. In Europa sind es sogar 99 Prozent...Darüber hinaus treibt das Internet die Dominanz der Weltsprache voran". Und dies prägt nicht nur unsere Wirtschafts-, Konsum- und Spaßgesellschaft. Die "Wirtschaftswoche" fährt fort: "Rund 90 Prozent aller wissenschaftlichen Texte erscheinen in der modernen lingua academica, ermittelte etwa der Duisburger Sprachwissenschaftler Ulrich Ammon: 'Deutsch, im ersten Drittel dieses Jahrhunderts noch unumstritten die wichtigste Forschungssprache, führt heute eher ein Schattendasein'".

Was zu tun ist.

Die CDU/CSU-Fraktion kann das Verdienst für sich in Anspruch nehmen, in einer Großen Anfrage (BT-Drucksache 14/0 v. 1.3.01) Umrisse einer aktiven Sprachpolitik in Gestalt von 75 (!) präzisen Anfragen skizziert zu haben. (Freilich muß sie sich fragen lassen, warum sie selbst in den 16 Jahren ihrer Regierungsverantwortung keine der in diesen Fragen angesprochenen Aufgaben inangriff genommen hat, sondern im Gegenteil, beispielsweise, mit dem unverantwortlichen Abbau der Goethe-Institute bereits kräftig begonnen hat.) Auch das Problem der zunehmenden Anglisierung wird in dem Fragenkatalog kritisch aufgegriffen. Ich zitiere hier nur auszugsweise die wichtigsten Punkte:

" Teilt die Bundesregierung die Aussage des Staatsministers für Kultur (München, 28. Januar 2001), das Deutsche sei als Wissenschaftssprache tot" und den in diesem Zusammenhang vom Staatsminister geäußerten Rat an angehende Wissenschaftler, auf Englisch zu publizieren?

Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung ... ergriffen,... um Deutsch als gleichberechtigte Amts- und Arbeitssprache innerhalb der Europäischen Union langfristig zu sichern?

.. Sieht die Bundesregierung ... Handlungsbedarf, um die Akzeptanz der deutschen Sprache im Inland - und besonders bei Schülern und Jugendlichen - zu fördern?

...Wie beurteilt die Bundesregierung die Zunahme von Anglizismen in der deutschen Umgangssprache und beabsichtigt sie, im öffentlichen Sektor der Vorschrift des =§ 723 des Verwaltungsverfahrensgesetzes: "Die Amtssprache ist deutsch" Geltung zu verschaffen, z.B. durch entsprechende Weisung an Behörden der Bundesverwaltung und den von ihr beeinflussbaren öffentlichen Einrichtungen,... überflüssige Fremdwörter durch deutsche Begriffe zu ersetzen?

Welche Rolle käme hierbei nach Ansicht der Bundesregierung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, dem Institut für Deutsche Sprache, der Gesellschaft für deutsche Sprache und dem Verein deutsche Sprachezu?

Wie beurteilt die Bundesregierung eine Gründung eines Bund-Länder-Beirates für deutsche Sprache" analog dem Beirat für deutsche Rechtschreibung, der mögliche Fehlentwicklungen der deutschen Sprache aufzeigen und geeignete Maßnahmen dagegen entwickeln und somit ein Instrument der Sprachpolitik sein könnte?

...Sieht die Bundesregierung angesichts der Tatsache, dass die Verwendung der deutschen Sprache in Teilbereichen geregelt ist (Sprache der Ämter, Notare, Gerichte; Lehrsprache an Schulen; verbindliche Sprache etwa bei Beipackzetteln von Medikamenten und Gebrauchsanweisungen), hier weiteren Regelungsbedarf?

Hält es die Bundesregierung für notwendig, die bestehenden gesetzlichen Regelungen in einem "Sprachgesetzbuch" zu bündeln?

Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung über die Auswirkungen der 1994 in Frankreich und 1999 in Polen erlassenen Gesetze zum Schutz der Muttersprache vor und wie beurteilt sie diese?"

Sprachschutz - VDS.

Während die meist hochdotierten akademischen Sprachvereine nur sehr langsam und unwillig aus ihrem sprachpolitischen Desengagement erwachen und nach wie vor die Situation schönreden (Prof. Hoberg, Präsident der GfdS: Die Zahl derAnglizismen ist "im Vergleich zum gesamten deutschen Wortschatz ... äußerst gering" ), hat der "Verein Deutsche Sprache" seit 1997 durch seine Informationsveranstaltungen, Ausstellungen ("Manhattan in Berlin"), Preisverleihungen an negativ, als "Sprachpanscher des Jahres", und positiv herausragend Tätige (2001: Rolf Hochhuth), direkten Aktionen und Appelle an verantwortliche Manager und Politiker Wesentliches dazu beigetragen, Aufmerksamkeit auf die deutsche Sprachmisere und das öffentliche Nichtstun als einen gesellschaftlich-politischen und kulturellen Skandal zu lenken. Die neueste Leistung besteht in der Ausarbeituntg eines ersten Entwurfs für ein deutsches Sprachschutzgesetz durch den 1. Vorsitzenden des Berlin-Potsdamer Regionalverbandes, den Juristen Dr. Kurt Gawlitta. Essentials (!) sind nicht etwa, eine Sprachpolizei zu etablieren, sondern

- Erweiterter Verbraucherschutz: Obligatorische Verwendung von Deutsch für Namen von Waren und Dienstleistungen, Marken, Werbung in jeder Form, Bedienungsanweisungen Gerätebeschriftungen etc.;

- Aufschriften oder Ankündigungen in der Öffentlichkeit - grundsätzlich in Deutsch, gegenbenenfalls mit Übersetzungen in wenigstens zwei andere Sprachen;

- Betriebsordnungen, Arbeitsanweisungen etc müssen in deutscher Sprache abgefasst sein.

- Im Unterricht der Schulen und Hochschulen ist die deutsche Sprache obligatorisch, dasselbe gilt für wissenschaftliche Veröffentlichungen, Ausnahme: Veröffentlichung für den internationalen wissenschaftlichen Austausch (aber mindestens eine Zusammenfassung in Deutsch)

- Tagungen, Kongresse: Teilnehmer haben das Recht, ihre Beiträge in deutscher Sprache vorzutragen.

- Rundfunk und Fernsehen: Gebrauch der deutschen Sprache verbindlich. Ausgenommen sind Spiel- oder Dokumentarfilme in der Originalsprache

- Beiräte für Fachbegriffe haben die Aufgabe, Vorschläge für eine praktikable Übertragung von Fachbegriffen ins Deutsche zu entwickeln. =

- Internationale Beziehungen: Die Bundesregierung setzt sich für die Verbreitung und Wertschätzung der deutschen Sprache in der Welt, und vor allem in Europa, ein (Amts- und Arbeitssprache ininternationalen Organisationen). Sie fördert die Arbeit der Goethe-Institute .


Verantwortlich für die redaktionelle Gestaltung aller Mitteilungen im Rahmen der WWW-Seite [http://www.tu-berlin.de/fb1/AGiW]: C. Gizewski, EP: gizeoebg@linux.zrz.tu-berlin.de