Startseite
Ich über mich Olympia 1972
Essener Songtage 1968
Veröffentlichungen
Bitte auf deutsch!
Verweise ("Links")
Texte 
Gästebuch
  Umgelegt - Gedichte - Aspects of Life (Gedichte von Kai Mahnert) -  Eine Kindheit nach dem 2. Weltkrieg (Auszüge)- Allerdings bin ich ein Mondmann (Auszüge) - 23 Kilometer



Im April 2008 hier erschienen:BoD - Einfach veröffentlichen.
bestellen


detlev mahnert:
gutes und schlechtes mischen und zucker drauf
oder
der vati hat das hakenkreuz lieb gehabt

eine kindheit nach dem 2. weltkrieg

Leseprobe

Ernste Einleitung zu einem - hoffentlich -  eher heiteren Buch

    Tief ist der Brunnen der Vergangenheit. Sollte man ihn nicht unergründlich nennen?

     Ein schöner Anfang. So beginnen Romane der Weltliteratur. Da ist eine zwar jedermann unmittelbar zugängliche, gleichwohl aber unbestreitbare und unbestrittene Wahrheit in eine griffige Formulierung geronnen. So redet ein Dichter. So redet Thomas Mann zu Beginn von „Joseph und seine Brüder.“

     Leider. Ich hätte dieses Bild auch gern erfunden, aber nun, da der Nobelpreisträger die Vaterschaftsrechte daran für sich beansprucht, kann ich nur als Epigone damit umgehen.

     Tief also ist der Brunnen der Vergangenheit, auch epigonal bleibt es dabei, unergründlich aber wohl nicht – jedenfalls nicht der Brunnen einer einzelnen Menschen-Vergangenheit. Ich werfe einen Stein hinein – und er fällt, tief, fast ein Menschenleben tief, mehr als 60 Jahre fällt er hinunter, aber er schlägt auf, er platscht auf das Wasser, ich höre das klatschende Geräusch aus der Tiefe, und ein paar Spritzer schießen hoch, vereinzelt nur, nicht so stark, dass sie zu einem Strom der Erinnerungen anschwellen könnten, aber sie formen sich zu einzelnen Bildern, kleinen Inseln im Meer des Vergessens der ersten Lebensjahre.

     Dunkel ist es am Grund des Brunnens – natürlich: Immer ist es am Grund eines Brunnens dunkel, in einem realen wie in einem metaphorischen, aber dieser metaphorische Brunnen ist auch metaphorisch besonders dunkel, denn es ist eine dunkle Zeit. Es ist Krieg, nicht irgendeiner: D e r Krieg, der das kürzeste Jahrtausend der Weltgeschichte beenden wird: die tausend Jahre zwischen 1933 und 1945.

     Ich will nicht von diesen Jahren sprechen - ich habe nur die letzten vier erlebt, und die Gnade der späten Geburt könnte ich wohl für mich reklamieren. Aber ich kann auch von der Zeit danach nicht sprechen, ohne die Frage nach Schuld zu stellen.

`s ist Krieg! ‚s ist Krieg! O Gottes Engel wehre,

Und rede du darein!

`s ist leider Krieg - und ich begehre
      Nicht schuld daran zu sein!

     Schuld oder Unschuld eines ganzen Volkes gibt es nicht. Schuld ist wie Unschuld nicht kollektiv, sondern immer persönlich.

     Nein, ich bin nicht schuld - aber ich trage eine Geschichte mit mir, die Geschichte meiner Eltern, meiner Familie, meines Volkes – ob ich das will oder nicht. Das Land, das ich „Vaterland“ nennen soll, auch wenn ich mit dem Begriff kaum etwas anfangen kann, ist kein einfaches Land. Von den Nachbarn wenig geliebt, ist es aber doch Jahrhunderte lang zumindest geachtet, respektiert, wohl auch bewundert worden, ehe es in einer unfassbaren Orgie der Gewalt, der Menschenverachtung, der industriell geplanten und mathematisch kalkulierten Menschenvernichtung um seine Werte betrogen wurde, sich selbst darum betrogen hat. Ein Land voller Hochmut und voller Demütigungen, siegestrunken und verzweifelt. Der Geschichte dieses Landes kann ich mich nicht entziehen, so wenig wie der meiner Familie. Sie spiegelt sich wider in meiner Gegenwart.

     150 Generationen, sagte 1996 Israels Präsident Weizmann in einer Rede vor dem Deutschen Bundestag, 150 Generationen sind seit der Feuersäule des Auszugs aus Ägypten bis zu den Rauchsäulen der Shoah vergangen. Und ich, geboren aus den Nachkommen Abrahams im Lande Abrahams, war überall mit dabei. Wie ich sie dort und in jenen Tagen begleitete, so begleiten mich meine Väter und stehen hier und heute neben mir."

      Es hat wohl Zeiten gegeben“, meinte mein Freund Wilfried, „da konnte man ohne schicksalhafte Verknüpfungen mit seinem Staat existieren, da konnte man glauben, man könne noch einen Weg neben der herrschenden Gesellschaft gehen. Im 19. und 20. Jahrhundert aber ist nicht einmal mehr die Flucht in sich selbst noch ein einfacher Pfad.“  

     Meine Familie ist nicht neben der Geschichte gegangen – sie waren alle „dabei“, fast alle, sie haben sich dem verschrieben, der angetreten war, das deutsche Volk zu erretten und es in den Abgrund geführt hat – und mit ihm viele Millionen anderer Menschen.

     Was hat sie bewogen sich selbst aufzugeben, all das, was ihnen an menschlichen Werten mitgegeben worden war? Was hat sie bewogen zu hassen? Zu verachten? Ihren Verstand liegen zu lassen und blindlings einem Führer zu vertrauen?

     Ein Brief, den mein Vater aus dem „Feld“ – so hieß das, wenn einer an der Front war – an meine Mutter schrieb, erschreckt mich noch heute. Da ist von Liebe die Rede, von Trauer über einen tödlich verwundeten Freund...

 Zu meiner großen Trauer las ich heute in einer Zeitung, daß Anfang Juni mein hochverehrter früherer Chef, Hauptschriftleiter Karl Busch, in einem Reservelazarett an den Folgen einer im Dienst erlittenen Verletzung gestorben ist. Das hat mich tief getroffen, denn damit ist ein prächtiger Mensch und glühender Nationalsozialist aus der ältesten Garde des Führers dahingegangen, ein Mann, dem ich persönlich sehr viel zu verdanken habe. Sag es bitte gleich Vater und teile ihm die Anschrift der Witwe mit: Frau Marianne B., Berlin- Dahlem, …allee 12. Er wird ihr sicherlich schreiben wollen.

   

 Ein „prächtiger Mensch“ ist da gestorben, ein „glühender Nationalsozialist“, einer ,,aus der ältesten Garde des Führers...“ Da klingt Dankbarkeit durch, Verehrung für einen Gesinnungsfreund, Idealismus – man mag mit Recht über das Objekt solcher Gefühle streiten, doch soll man den tadeln, der Trauer über den Verlust eines Freundes empfindet, eines Menschen, dem man viel zu verdanken hat?

 

Aber dann dies:

   Sehr geärgert habe ich mich auch darüber, daß man eine zweijährige Zuchthausstrafe für einen Schwarzschlächter, der der Volksgemeinschaft mehrere 100 Kilo Fleisch entzogen hat, als strenge Strafe bezeichnet. Und wo bleiben die vom Führer ausdrücklich geforderten Todesurteile? Dasselbe ist es bei den großen Hinterziehungen von Lebensmittelkarten im Innsbrucker Ernährungsamt. Hier sterben die braven anständigen Kerle, und zu Hause sperrt man die Lumpen ein, statt sie auszumerzen und so der Gegenauslese, die der Krieg durch den Soldatentod der Besten mit sich bringt, wenigstens einigermaßen eine positive Auslese entgegenzusetzen!

    Da kann einer im ersten oder jetzigen Krieg Soldat gewesen sein – wenn er so etwas tut, gehört er hingerichtet. Wenn an der Front einer seinen Posten verläßt, dann kostet es ihn ja auch mit Recht sein Leben, denn er hat das seiner Kameraden in Gefahr gebracht. Ich glaube, daß die Masse unseres Volkes es bestimmt nicht allzuhart empfindet, was der Führer in seiner letzten Rede darüber gesagt hat. Und was der Führer sagt, das ist doch Gesetz!

     Todesurteil für einen Metzger, der Fleisch für sich abzweigt - hätte man einen, der das fordert, nicht auch einen „furchtbaren Juristen“ nennen müssen, so einen wie den Herrn Filbinger? Da wird das Vokabular des Unmenschen ausgebreitet: „Lumpen, ausmerzen, Gegenauslese, Soldatentod der Besten...“ – und dann der Satz, der mich so ratlos macht: „Was der Führer sagt, das ist doch Gesetz!“  

    Zweitausend Jahre europäischer Rechtsgeschichte weggewischt, weggefegt, weggebrüllt, weggebombt von einem, der sich eine dumpf religiöse, von ungenannten und unnennbaren mythischen Kräften gespeiste Instanz ausgedacht hatte, die Vorsehung, die nun offenbar gerade von ihm erwartete, das deutsche Volk zu führen und die Welt zu retten.  

    „Was der Führer sagt, das ist doch Gesetz!“

*)  Sie waren alle ,,dabei'' - Eltern, Großeltern, Onkel, Tante, und im Gegensatz zu vielen anderen, die nach dem Krieg plötzlich entdeckten,
      dass sie eigentlich immer Widerstandskämpfer waren, haben sie es nie geleugnet. Meine Generation, die so ganz anders denkt, hat das
      immer respektiert - wir haben uns nicht angemaßt, über unsere Eltern zu richten, und wir haben versucht, dies auch an die nachfolgende
      Generation weiter zu geben. Und so hat sich auch mein Sohn Kai mit neun Jahren schon seine Gedanken gemacht, die man in dem Büchlein
      "Allerdings bin ich ein Mondmann" nachlesen kann.
                                                                                                                                                                                   weiter