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INTERNATIONALE ESSENER SONGTAGE 1968



DETLEV MAHNERT//HARRY STÜRMER: Zappa, Zoff und Zwischentöne.
Die Internationalen Essener Songtage 1968

Heute sind sie vergessen, die Internationalen Essener Songtage, die Ende September 1968 in Essen im Ruhrgebiet, fernab von den Zentren der Studentenbewegung stattfinden. 200 MusikerInnen aus zehn Ländern treten auf, 40 Veranstaltungen an mehreren Orten zählen 40000 BesucherInnen. Die Songtage sind das erste große Rock-, Pop- und Undergroundfestival in Europa. Viele später sehr bekannte Musiker, wie etwa The Fugs, Jimi Hendrix, Frank Zappa, Alexis Korner oder Roger Chapman, treten dort auf, die von Übersee kommenden teilweise zum ersten Mal auf dem europäischen Kontinent. Natürlich sind auch die Krautrocker vertreten, etwa durch Guru Guru, oder die wohl unvermeidlichen Liedermacher, wie etwa Franz Degenhardt, Hannes Wader oder Dieter Süverkrup. Der Subkulturpapst Rolf Schwendter und andere halten Vorträge. Pressereferent der Großveranstaltung ist Henryk M. Broder.

Das Ruhrgebiet und Essen sind im Jahr 1968 noch Provinz, es gibt im Ruhrgebiet nur die 1962 gegründete Universität in Bochum. In Essen war im Februar 1968 Dutschke aufgetreten, an Ostern wurde nach dem Attentat auf Dutschke der lokale Springerverlag blockiert. Im Oktober 1968 wurde dann in Essen die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) gegründet. 3000 demonstrieren gegen den Einmarsch der Warschauer Pakt Staaten in der CSSR: Anfang September 1968 findet der Katholikentag in Essen statt und es zeigt sich öffentlich, wie die „Pille“ auch das katholische Milieu durcheinander bringt.

Die Autoren stellen die vielen Interpreten ausführlich vor und erzählen die Geschehnisse dieser fünf Tage samt ihres Vorlaufes und ihrer Nachwirkungen. Sie zeigen, wie die Songtage auch durch die liberale Jugend- und Kulturpolitik der Stadt Essen mit ermöglicht werden, so leistet die Stadt eine Bürgschaft über 150000 EUR, und sich doch gleichzeitig vom Establishment abzugrenzen versuchen.

Initiator der Songtage war der Musikjournalist Rolf-Ulrich Kaiser, der später als Produzent und Veranstalter in den kommenden Jahren der ungekrönte Kaiser der deutschen Elektronikmusik und des Krautrock werden sollte. Der manische Arbeiter Kaiser bezog sich mit seiner Idee auf die großen amerikanischen Festivals, wie etwa Monterey, gleichzeitig wollte er, so Mahnert/Stürmer, ursprünglich ein „Song-Festival“ veranstalten. Sozusagen in Fortsetzung der Folklore-Festivals, die seit 1964 auf Burg Waldeck im Hunsrück stattfinden. Dass da ein Underground-Festival stattfinden sollte, wurde erst wenige Wochen vorher klar und auch nach außen so kommuniziert. Den vielen Teilnehmenden war das alles vermutlich herzlich egal. Sie spürten, wie am Schluss des Buches in zehn Beiträgen von damals beteiligten dokumentiert wird, hier passiert etwas und wollten dabei sein.

Die beiden Autoren haben sich bewusst für ein parteiliches und auch persönliches Buch entschieden, sie verschweigen nicht, dass es auch damals schon eine Kritik am Ausverkauf der Hippiebewegung gab, war doch nicht nur die Kulturindustrie auf den neuen subkulturellen Modernisierungsschub in den Ländern des globalen Nordens aufgesprungen, ja hatte ihn womöglich selbst mit hervorgerufen. Mahnert und Stürmer haben ein ungemein spannendes und anschaulich geschriebenes Buch vorgelegt, das nicht nur die Ereignisse der Songtage selbst, sondern auch das ganze Geschehen rundherum detailliert schildert. Es macht deutlich, wie „subversiv“ so ein Festival zu jener Zeit war, dafür muss man sich nur die auf Seite 48 dokumentierten Ergebnisse der Schlagerparade 1968 anschauen, die dreimal Heintje, Roy Black und einige andere auf den ersten zehn Plätzen aufweist.

(Brosch, 309 S; Essen 2008, externer Link in neuem Fenster folgtKlartext Verlag,, 22,90 EUR )

Autor: Bernd Hüttner