Kein Sprachverfall
Forscher vergleicht Sprache der Jugendlichen
Der angebliche Sprachverfall bei Jugendlichen ist nach
Ansicht eines führenden deutschen Sprachforschers nur
ein Vorurteil. «Die häufig geäußerte Meinung, die
Aus-
drucksfähigkeit von Jugendlichen sei geringer als frü-
her, ist wissenschaftlich nicht zu halten», sagte der Vor-
sitzende der Gesellschaft für deutsche Sprache, Prof.
Rudolf Hoberg, kürzlich am Rande eines Symposiums
über Sprache und Öffentlichkeit. Hoberg hat als Dozent
für Sprachwissenschaft an der Technischen Universität
(TU) Darmstadt die Abituraufsätze deutscher Gymna-
sien seit den 40er-Jahren verglichen. In Abständen von
zehn Jahren griff er sich 15 Aufsätze aus bundesweit
fünf Schulen heraus und analysierte sie.
Eine erste, grobe Auswertung ergab: «Alle Texte sind
nicht nur länger, auch der verwendete Wortschatz
ist größer.»
Der Satzbau zeichne sich nicht als schlechter ab. Einziges
Minus: «Wir haben mehr Rechtschreibfehler gefunden.»
Da heute 40 Prozent der Jugendlichen das Abitur mach-
ten, glaubt Hoberg, seine Erkenntnisse auf das Sprach-
vermögen der gesamten Gesellschaft ausweiten zu kön-
nen. Sprache verändere sich, und das sei gut so. «Nicht
jede Veränderung sei eine Verschlechterung.» Auch eine
grundsätzliche Verteufelung von Fremdwörtern ist Ho-
bergs Sache nicht. Bei 500 000 deutschen Wörtern fielen
4000 englische Begriffe nicht so sehr ins Gewicht. Viele
dieser Idiome verschwänden sehr schnell wieder. Was
bleibe, sei oft eine Bereicherung: «Den ,Service-Point´
brauchen wir nicht, aber ,cool´ hat eine andere Bedeutung
als ,kühl' und erweitert damit den Wortschatz.» dpa
Berliner Morgenpost 09.06.01 |