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                          Zwangsdeutsch auf dem Schulhof?
              
Eine Umfrage in Essener Schulen

Deutsch auf dem Schulhof?

   Auf dem Schulhof soll jeder so reden dürfen, wie er mag, findet der 11-jährige Kurde Bawan Latif von der Richard-Schirr­man -Realschule in Katern­berg: „Bei einem Verbot würde ich mich eingeschränkt füh­len“, sagt er. Sein libanesischer Mitschüler Khodr Ramadan Khodr stimmt ihm zu: „Wenn ich Privatgespräche führe, geht das keinen was an. Auch nicht, welche Sprache ich dann spre­che“, findet der 12-Jährige. Sein Schulkamerad Andre Schur sieht das anders: „Ich möchte meine Mitschüler verstehen“, sagt der 16-Jährige. Deutsch ist seine Muttersprache. Fremde Sprachen schließen aus“.

   Die Türkin Sultan Ucan gibt ihm Recht: »Die fremden Spra­chen schließen die Deutschen aus“, sagt sie. Auch Palmis Sha­bazi redet auf dem Schulhof mehr Deutsch als Persisch. Enes Uzun wünscht sich, dass das alle so machen würden: "Dann sind alle gleich“, sagt der 15-Jährige. Er pflegt nur noch zu Hause seine Muttersprache, wie er erzählt.

   Ein Junge wie Enes sei aber die Ausnahme, glaubt der Ser­be Mario Ababzic: „Selbst, wenn das Verbot käme: Da würde sich doch keiner dran halten“, sagt der 15-Jährige. Re­alschulleiter Herbert Hein sieht‘s ähnlich: „Für die Inte­gration wäre es wünschens­wert, aber es ist nicht durch­führbar“, meint der 56-Jährige
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   Eine Sprachkontrolle auf Schulhöfen lehnt der 14-jähri­ge Julien Schneider ab: „Das wirkt auf mich diskriminie­rend“, sagt der deutsche Neun­tklässler des Unesco-Gymnasiums. Schüler aus 42 verschie­denen Nationen lernen dort, „mit rund 60 Prozent sind wir das Gymnasium mit dem höch­sten Migrantenanteil im Regie­rungsbezirk“, betont Schullei­ter Norbert Kleine-Möllhoff. Auch er setzt auf Einsicht statt Kontrolle: „Es ist gut, wenn man auch im Alltag ständig das Deutsche übt. Denn die Spra­che ist der Dreh- und Angel­punkt für eine erfolgreiche In­tegration. Das ist unser Appell an die Schüler. Aber kontrollie­ren, ob auf dem Schulhof Deutsch gesprochen wird, das werden wir nicht.“

   Ähnlich äußerte sich Faruk Sen, Direktor des Zentrums für Türkeistudien: Deutsch als ver­bindliche Sprache sei ein effek­tiver Weg zu mehr Integration, gangbar jedoch nur freiwillig. Die Verbannung der Her­kunftssprache jedenfalls sei kein Weg.

   Sollte Deutsch „Amtsspra­che“ auf den Schulhöfen wer­den, wäre es Cetin Denizhan gleich: „Ich würde mich sowieso nicht daran halten", sagt der 17-jährige Türke. "In unserer Clique reden wir Deutsch und Türkisch. Das ist einfach so."

   Genauso wie der Abiturient Ivan Stadnikov "zu 90 Prozent Russisch" auf dem Schulhof spricht. "Es ist mein Menschenrecht, meine Muttersprache zu sprechen - auch auf dem Schulhof", sagt der 21-Jährige.




   Horst Stief, Leiter des Gymnasiums Essen-Nordost (Geno) sieht das anders: "Als ich 1976 hier anfing, sprachen alle Deutsch auf dem Schulhof und selbst die Türken in der Umkleidekabine nach dem Fußballspiel." Doch weniger die Fremdsprachen auf dem Schulhof als die Fremdsprachen in den Migrantenhaushalten machen ihm Sorgen: "Über Satellit gibt's das Fernsehen in der Heimatsprache, der Zwang zum Deutschlernen sinkt. Aber mit Ordnungsmaßnahmen kann man da nicht gegensteuern."

    Gerade Fußball und Schule jedoch sind Themen, die sich auf Türkisch besser besprechen lassen, finden Timur Ozcan und Adem Dombaycik, Elft­klässler desGeno. Aber wegen der Integration sei es schon wichtig, möglichst viel Deutsch zu sprechen.
  
   Jörg Kuhlmann, Lehrer an der Gesamtschule Bockmühle und Vorsitzender der Gewerk­schaft Erziehung und Wissen­schaft in Essen, plädiert dafür, vor allem in Konfliktsituatio­nen Deutsch zur Pflicht zu ma­chen: Damit nicht in fremder Zunge beleidigt werden kann und sich der Betroffene nicht verbal zur Welt setzen kann.   

   Auf dem Schulhof der Hauptschule Bärendelle spre­chen auch Siriporn Wimolchi­gapom und Xyioyan Jiang auf Deutsch miteinander  - notge­drungen: Die eine kommt aus China, die andere aus Thai­land. „Das ist doch auch wich­tig, wenn man in Deutschland ist“, so die beiden Neuntkläss­1er. Allerdings: Über Jungs wür­den sie lieber gelegetnlich in ei­ner fremden Sprache reden. Für Mohamed El-Zein, Ali Fayad und Tanttik Bachir sind Religion, Geschichte und Politik die Themen, die sie lieber auf Arabisch diskutieren-  "Das kann man da einfach besser ausdrücken", findet Ali Fayad. Schulleiterin Anne

Bartmann-Hill findet das weitgehend okay. "Die Pause ist Privatsache - und auch welche Sprache da gesprochen wird", findet sie.

"Verfehlte Integrationspolitik"

     Auch Burak Copur, Grünen-Politiker und Vorsitzender des Ausschusses für Migration, spricht sich gegen Zwangsdeutsch auf den Schulhöfen aus: "Das ist ein Ablenkungsmanöver, das von der verfehlten Integrationspolitik der letzten 30 Jahre ablenkt", meint er. "Wir müssen darüber anchdenken, wie Schule mit Einwanderung generell umgeht." Er sieht eine echte Chance nur in einem "sowohl als auch": Die Deutschkompetenz stärken und die Muttersprache der Kinder ausbauen: "Bilingualität ist in der globalisierten Welt ein Plus." (Herm/ mahü)

NRZ  02. FEBRUAR 2006