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Der Mensch, weiß man seit Schiller (mein Gott, ein bisschen Bildung wird ja man doch wohl mal demonstrieren dürfen!), der Mensch also ist nur da ganz Mensch, wo er spielt - und er spielt nur da, wo er ganz Mensch ist. 

Kai ist in dieser Hinsicht zweifellos ganz Mensch - mehr Mensch geht kaum! Er spielt eigentlich ständig, eignet sich die Welt im Spiel an, versucht Erlebtes nachzugestalten, sich in anderen Rollen mit anderen Erfahrungsmöglichkeiten und Verhaltensweisen auseinanderzusetzen und kann dabei völlig in seiner Rolle aufgehen. Es ist nicht immer ganz einfach herauszubekommen, wer er gerade ist. Gewiss, den Indianer oder den Fußballprofi oder den Piraten kann man gewöhnlich auf Anhieb erkennen, und auch dass er gerade  seine Erfüllung im Polizeidienst findet, erfährt man sogleich beim Nachhausekommen: keine Rede davon, dass der erschöpft heimkehrende Vater etwa mit einem Kuss begrüßt würde - nichts da:  Ahnungslos öffnet er die Tür, und da steht schon einer, mit einem verdächtigen Hut auf dem Kopf, und herrscht ihn an: “Hände Hoch! Keine Bewegung! Im Namen des Gesetzes - Sie sind verhaftet!“

"Hände hoch - keine Bewegung!"

Papa schluckt‘s runter - diese martialischen Anwandlungen in einer pazifistischen Familie machen ihm schwer zu schaffen, und dass er als alter Achtundsechziger ein eher gebrochenes Verhältnis zur Staatsgewalt in Uniform hat (als Autofahrer ohnehin), kann den Sohn in seiner Begeisterung für alles, was mit Polizei zu tun hat, nicht beeinträchtigen.
Zähneknirschend nimmt Papa also die Hände hoch — und dann springt ihm Kai doch noch in die Arme und es gibt doch noch den Begrüßungskuss

 
Eines Tages aber ist alles anders.


Papa öffnet die Tür - keine Trillerpfeife, kein Kommando, kein “Hände hoch!“ - statt dessen ein merkwürdig gewandeter junger Mann in der Diele, der einen Tornister auf dem Rücken trägt und mit atemberaubend gemessenem Schritt auf und ab geht, wortlos, fast atemlos. Was heißt, er “geht“? Er schreitet, wobei er die Eleganz eines Storchs mit der Wucht eines Nashorns verbindet.

Papa steht ratlos - wen hat er denn nun wieder vor sich? Endlich wendet Kai, ohne indessen seine gemessenen Schritte zu unterbrechen, den Kopf etwas nach hinten, so dass er über die Schulter hinweg sprechen kann

 und sagt - mindestens so atemberaubend gemessen wie er schreitet:

“Allerdings bin ich ein Mondmann!“

Und mit unendlichem Ernst und atemberaubend gemessenen Schrittes entfernt er sich Richtung Kinderzimmer.