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Sprachreise nach PCnien
Anglomanie in der deutschen Sprache,
speziell in der IT-Branche
Die Elektronische Datenverarbeitung ist unbestritten eine der wohl revolutionärsten Errungenschaften des letzten Jahrtausends. Und wie jede große Revolution spricht auch sie ihre eigene Sprache mit folgender Programmatik: möglichst englisch, möglichst kurz, schnell. Die Anglomanie Seit geraumer Zeit lässt sich in Deutschland das Phänomen der Anglomanie beobachten. Manch einer hält den Beginn der 'Coca Cola-Invasion' für ursächlich. Heute, gut 50 Jahre später, ist unsere Umgangssprache mit Anglizismen derart durchsetzt, dass die prompte Übernahme neuer englischer Ausdrücke längst nicht mehr auffällt. Unsere Fachsprachen geben sich hochachtungsvoll gegenüber jedem englischen Terminus, kommt doch wissenschaftlicher Fortschritt (nicht nur in der Getränkebranche und nicht von ungefähr) vielfach aus englischen Sprachräumen. Die EDV-Fachsprache ist kein Einzelfall, aufgrund ihrer Verbreitung jedoch etwas Besonderes. Bereits SchülerInnen zählen sich zum erlauchten Kreis der User, für die das Lesen von Installation Guide und Hardware Manual im wahrsten Sinne des Wortes ein Kinderspiel ist. Sieht man von etwaigen Verständlichkeitseinbußen ab, die in der Computer-Kids-Generation nicht maßgeblich scheinen, kann der Versuch, englische Begriffe in die deutsche Sprache zu integrieren, durchaus problematisch sein. Beispiel: Hauptwort Die Schwierigkeiten beginnen bereits bei der Bestimmung des grammatikalischen Geschlechts, anhand dessen wir den passenden Artikel setzen. Vielfach neigen wir dazu, für Fremdwörter das Geschlecht ihrer deutschen Übersetzung zu entlehnen. So wird der ursprünglich sächliche Begriff Mail (Post) auf einmal weiblich: aus das Mail wird zumeist die Mail. Aber diese Methode wenden wir nicht konsequent an. Haben wir die Hürde des Artikels erst genommen, blicken wir gelassen auf die Mehrzahl der Hauptwörter, nicht ahnend, dass eben diese Mehrzahl schon das nächste ernst zu nehmende Problem in sich birgt. Die deutsche Variationsvielfalt an Pluralbildungen übertrifft das Englische bei weitem. Großzügig, wie wir sind, lassen wir jedoch Andere gern daran teilhaben. In der Praxis sieht das ungefähr so aus: Einzahl und Mehrzahl
sind gleich: Hier besteht offensichtlich kein weiterer Handungsbedarf, da der Artikel ganz klar den Plural anzeigt. Die Mehrzahl endet auf
-s wie im
Englischen: Damit Ein- und Mehrzahl trotz gleichen Artikels voneinander zu unterscheiden sind, wird eine Pluralendung angefügt, die zufällig (?) der englischen entspricht. Die Mehrzahl bleibt
englisch: So beugen wir etwaigen Bezichtigungen vor, des Englischen nicht mächtig zu sein. Weil wir aber erkennen müssen, dass die Pluralbildung im Englischen nicht ganz so trivial ist, wie ursprünglich angenommen, haben wir einen offiziell genehmigten Behelfsplural geschaffen. Die Mehrzahl wird deutsch:
Aber damit nicht genug. Kaum haben wir begonnen, englische Hauptwörter im bzw. dem Deutschen zu beugen, droht schon das nächste Tief: der Genitiv (Wes-Fall). Die Regeln werden neu gemischt und heraus kommt Folgendes: Der Einzahl-Genitiv
weiblicher Hauptwörter
entspricht, wie im Deutschen, ihrem Nominativ (Wer-Fall):
Männliche und
sächliche
Hauptwörter haben im Singular analog zum Deutschen eine
Genitiv-Endung. Wer darüber hinaus versucht, mit Hilfe des Apostrophs einstiges Schulenglisch zu reaktivieren, verursacht unter Umständen grobe Verstöße gegen die deutsche (und die englische) Rechtschreibung. Diese äußern sich beispielsweise in der vielfach beklagten Apostrophitis, die schlichtweg falsche Schreibweisen hervorbringt wie: Die Komponenten des Server's ... Alle beschriebenen Schwierigkeiten lassen sich gezielt umgehen, wenn wir englische Begriffe ins Deutsche über- setzen. Allerdings gibt es Ausdrücke, die sich dafür nicht unbedingt eignen, weil sie nicht wörtlich zu nehmen sind: Joystick mit Freudenstab zu übersetzen, ist alles andere als eindeutig. Und wenn wir aus Hot Keys womöglich heiße Schlüssel machen, verbrennen wir uns höchstens die Finger. Beispiel: Eigenschaftswort Im Gegensatz zum Englischen werden deutsche
Eigenschaftswörter mit dem Hauptwort gebeugt. Aber englische
Adjektive beugen
sich einfach nicht. Das Gerät ist offline. - Das offline Gerät Offensichtlich können wir Wörter wie offline nicht grammatikalisch korrekt in deutsche Texte übernehmen. Eine mögliche Lösung sind zusammengesetzte Hauptwörter, in diesem Fall: Offline-Gerät. Der Drucker ist busy. - Der busy Drucker Auch diese Variante scheint nicht gelungen. Da das Wort busy im Deutschen aber relativ geläufig ist, hilft hier ein Nebensatz: Die Drucker, die busy sind,... Der Wert ist valid. - Der valid Wert Dieser Fall ist besonders unglücklich. Hier scheinen weder Kompositum noch Relativsatz angebracht. Letzter Ausweg: übersetzen. Beispiel: Tätigkeitswort Anders als bei den Eigenschaftswörtern ist für Englisch Sprechende die Beugung von Verben kein Fremdwort, weshalb wir uns erlauben, mit englischen Tätigkeitswörtern gnadenlos zu verfahren. Doch die Willkür angewandter Regeln wirft hie und da Fragen auf. Haben oder Sein?
Getrennt oder zusammen?
Deutsche Muster vor Augen handelt es sich bei diesem Verb um eine trennbare Zusammensetzung. Es nicht zu trennen, macht es jedoch als Fremdwort leichter erkennbar, was wiederum schnelleres Verständnis und bessere Lesbarkeit bedeutet. Konsonantenverdoppelung?
Um der Phonetik Genüge zu tun, verdoppeln wir den End- konsonanten. Englischsprachige Verbformen wie resetting können uns dazu nur ermutigen. Substantiv statt Verb? Linken Sie die beiden Dateien. Oder: Schaffen Sie einen Link zwischen beiden Dateien. Um Verwechslungen mit deutschen Wörtern (hier: linken) vorzubeugen, genügt es meist, statt englischer Verben ein passendes Substantiv zu wählen. Wenn das nicht geht, stellt sich zwangsläufig die Frage: Lieber übersetzen? Zwischenbilanz Während Computer-Freaks unter sich den EDV-Jargon als gesprochenen Umgangston getrost weiterpflegen können, sollten sich Technikredaktion und Fachpresse auf ihre Muttersprache besinnen. Durch Übersetzung englischer Termini ins Deutsche erleichtern wir uns das Rechtschreiben. Auch helfen wir den in Sachen Computer Zögerlichen und Furchtsamen ein gutes Stück über ihre Hemmschwelle, wenn wir beherzt gegen Sprachbarrieren angehen. Wir müssen nur allgemein verständlich formulieren. Die Fast Food-Taktik Der Mensch leidet an chronischem Zeitmangel, weshalb sich Fertiggerichte, Nagellackschnelltrockner und knitterfreie Hemden zunehmener Beliebtheit erfreuen. Allseits begehrte Time Management-Seminare schaffen bedingt Abhilfe, demonstrieren mit ihren Preisen jedoch eindrucksvoll den Wahrheitsgehalt deutscher Redewendungen: Zeit ist Geld. Besonders betroffen sind EDV-Leute. Ihnen fehlt nicht nur Zeit im Allgemeinen, sondern auch im Besonderen; Schuld sind Schnell- und Kurzlebigkeit von Trends und Neuentwicklungen des Marktes. Das fortwährende Streben nach schnelleren Prozessoren und kürzeren Zugriffszeiten bleibt ein frustrierendes Unterfangen, denn schon wenige Meter weiter prahlt die Konkurrenz mit noch mehr Megahertz und noch weniger Millisekunden. Und wozu das alles? Um den Informationsaustausch mit dem und über den PC zu beschleunigen. Ihrem Geschwindigkeitsrausch hoffnungslos verfallen und gehetzt vom Puls der Zeit unterwirft sich eine ganze Branche der Devise: Kommunizieren, aber schnell! und macht selbst vor der Sprache (Kommunikationsmittel Nr.1) nicht Halt. Beispiel: Akronyme und andere Abkürzungen Abkürzungen sind in Fachtexten gang und gäbe. Dagegen ist im Prinzip nichts einzuwenden, wissen doch alle genau, was gemeint ist, auch wenn nicht klar ist, was es im Einzelnen heißt. Nachfolgende Fragen ermöglichen einen kurzen Selbsttest: Was heißt ASCII? Wie auch immer dieser Test ausfällt,
machen doch
schon solch einfache Begriffe deutlich, dass EDV-fachliche
Abkürzungen
durchaus auf Unverständnis stoßen können. Beispiel: E-Mail Auf der Computer-Tastatur eine Taste zu drücken, dauert den Bruchteil einer Sekunde. Unversierte Tipperinnen brauchen mit dem Zwei-Finger-Suchsystem zuweilen etwas länger. Aber ob versiert oder nicht, allen geht's zu langsam. Um das Ganze zu beschleunigen, bleibt letztlich nur eins: die Anschläge minimieren. Und das geht so: |
Wir eliminieren die Großschreibung; dadurch erübrigt sich das lästige Betätigen der Hochstelltaste (engl.: Shift). Wir befleißigen uns einer Art Telegrammstil, sparen somit Wörter und natürlich Anschläge. Wir verzichten auf Absätze, d. h. Zeilenschaltungen, Leerzeilen etc. Die ohnehin überstrapazierte Bestätigungstaste (engl.: Return, Enter) wird es uns danken. Wir verwenden Abkürzungen wie MfG (ohne Hochstell- taste: mfg). Das macht inklusive der bei den Leerzeichen insgesamt 20 Anschläge weniger (bei Kleinschreibung sogar 22), und die Leertaste (engl.: Space) schonen wir obendrein. Wir vertippen uns grundsätzlich nicht. Falls doch, lassen wir den Fehler einfach stehen. Die strikte Einhaltung dieser Regeln bedeutet für ein E-Mail von circa 50 Wörtern plus Grußformel auf die Schnelle eine Zeitersparnis von etwa 25 bis 50 Sekunden - abhängig vom individuellen Tipp-Tempo. Multiplizieren wir diese Zeit mit der Anzahl täglich geschriebener E-Mails, bringt das schon einige Minuten pro Tag. Hurra! Endlich Zeit für die wirklich wichtigen Dinge, wie z. B. Normen und Gepflogenheiten der Briefgestaltung. Zwischenbilanz Die merkliche Eile beim E-Mail zeugt nicht gerade von be- sonderer Wertschätzung für die Adressaten. Wer will seinen Kunden, Lieferanten o. ä. schon zu verstehen geben, man habe oder nehme sich keine Zeit für sie. Da hilft auch kein schmeichelndes Bombardement mit fachsprachlichen Abkürzungen, obwohl dies zweifellos von hoher Einschätzung der Zielperson zeugt (offensichtlich wird ein gewisses Wissen unterstellt). Erweist sich diese Annahme jedoch als falsch, gäbe ein persönliches Gespräch wenigstens noch Gelegenheit, nachzufragen. Bei geschriebenem Text aber hat man keine Chance, es sei denn, Abkürzungen werden aufgelöst oder erklärt. Die Fast Food-taktische Anglomanie Inzwischen scheint die EDV-sprachliche Entwicklung ihren Höhepunkt erreicht zu haben. Eine spezielle Web-Sprache führt - neben zahlreichen weiteren Aspekten - auch die eingangs genannten Grundregeln (möglichst englisch; möglichst kurz, schnell) zu beeindruckender Perfektion. Die Rede ist vom Chat-Slang (auch: Cyber-Slang). Er bedient sich vielfach englischer Begriffe und Ausdrücke mit allen deutsch- orthographischen und -grammatikalischen Konsequenzen. Darüber hinaus propagiert er eine Art Telegrammstil, strotzt vor Abkürzungen und wendet eine durchgängige Kleinschreibung, z. T. auch unter Verzicht auf Interpunktion, mehr oder weniger konsequent an. Warum englisch? Das WWW verbindet - wie der Name schon sagt -
weltweit;
Menschen unterschiedlichster Muttersprachen treffen aufeinander. Beim
Chat,
einer Viele-zu-Viele- Kommunikation, sind die potenziellen
Chat-PartnerInnen
aber nicht nur international, sondern zuweilen auch unbekannt. Eine
gezielte
sprachliche Einschränkung, die anderssprachige Personen von
vorneherein
ausgrenzt, macht wenig Sinn. Warum kurz und schnell? In diesem Zusammenhang sind drei Aspekte von Bedeutung: die Kostenfrage, der Gesprächscharakter des Chat und der Zeitfaktor. Zwar ist online gehen und verweilen längst nicht mehr so kostspielig wie früher, es kann sich dennoch summieren, vor allem beim Chat am nicht eigenen PC (in Internet-Cafes o. ä.). Je schneller also der Informations- austausch, um so mehr kann man für das gleiche Geld online sagen. Und wenn's nicht viel zu sagen gibt, spart das sogar ein paar Mark. Chat ist per definitionem eine Plauderei, also
eine Form
mündlicher Kommunikation. Ewige Monologe, lange Antwortzeiten und
das große Schweigen sind hier nicht angesagt. Wie bei
Gesprächen
üblich, erwarten Chat- PartnerInnen bei ihren
Plauderstündchen
rasche Reaktion. Die Chat-Kurzschrift So kam man schließlich überein, schlichtweg die Chat-Texte zu kürzen und eine spezielle 'Kurzschrift' zu entwickeln, die das Gespräch beschleunigt. Diese Kurzschrift genügt dem Tempo-Gedanken und den kosmopolitischen Ansprüchen gleichermaßen. Das zeigt sich insbesondere bei den verwendeten Kürzeln, die wir trotz diverser Überschneidungen zunächst als Satzkürzel und Lautkürzel (letztere auch: phonetisch motivierte Kürzel) unterscheiden. Satzkürzel:
Hinzu kommt, dass Satzkürzel im Gegensatz zu klassischen Akronymen (z. B. AIDS) meist keine sprechbaren Wörter ergeben. Das zeigt schon der Versuch, brb in einem Wort zu artikulieren. Angesichts solch wenig eleganter Behelfslösungen sind Gegenbeispiele wie YABA (Yet Another Bloody Acronym) nur ein kleiner Trost. Die Verwendung festgelegter Satzkürzel ist durchaus anspruchsvoll und setzt bei Chat-Interessierten ein gewisses Maß an Lernbereitschaft voraus. Wie im Fremdsprachenunterricht müssen die Chat-Vokabeln trainiert werden, Sprachlabor ist der PC. Dort existieren inzwischen ganze Wörterbücher, die online abgerufen werden können. Lautkürzel:
Diese Kürzelvariante setzt aber nicht nur
Sprechlaute
in lautgetreue Schriftzeichen um, sondern legitimiert zugleich ihre
englische
Basis. Verglichen damit ist nämlich die deutsche Sprache nur wenig
ergiebig. Lautkürzel im Deutschen nachzubilden, erweist sich als
reichlich vl-faul; Q-Kuh; ZI-Zettel; 11e-Elfe; b8t-beachte; Ob kurz oder lang - jedes Gespräch lebt
auch von
Körpersprache und Intonation. Sie sind es, die den Sinn
gesprochener
Worte unter- Emoticons und Smileys:
:-)
fröhlich, guter Laune,zustimmend ...und sonstige Smileys: Textauszeichnungen:
Version 1: du bist aber schlau
*staun* Eigens ausgezeichnete Textbeifügungen bringen also mehr Klarheit. Daneben sparen sie aber auch Zeit. Denn außer Gefühl und Intonation können sie komplexe, erklärungs- bedürftige Sachverhalte prägnant vermitteln. Statt: lisa war beim arzt. sie hat magenprobleme. heißt es dann: lisa war beim arzt. *magen* Schlussbilanz Wir unterstellen, dass die Fast Food-taktische Anglomanie der armen Lisa auf den Magen geschlagen hat. Doch emsige SurferInnen verprechen gute Besserung und entwickeln im Internet deutsche Chat-Kürzellisten als Therapie und Prophylaxe zugleich. So ist Hobby-Chattern gelungen, was den EDV-Profis bislang versagt blieb: sie können und wollen sich in ihrer Muttersprache verständigen und das sogar lang und breit, getreu dem Motto iha (ich hasse abkürzungen). Das lässt am Ende doch noch hoffen. Und vielleicht entdecken wir irgendwann die Faszination der eigenen Sprache und lernen, schöne (ganze) Worte wieder zu schätzen - auch in PCnien. Ageliki Lucchesi, Technikredakteurin bei Comet Computer GmbH und Chefredakteurin von C-Blatt |