"Das
kann ich nicht spielen, das kennt ja keiner"
Auch in
Hamburg verweigern sich die Radiosender deutschsprachiger Musik. Vieles
spricht für eine Quote
von
Stefan Krulle
Der Job
von Rosita Falke ist nicht leichter geworden in den letzten
Jahren. Als freie Radio-Promoterin trägt die Hamburgerin zwar oft
genug
musikalische Kleinodien in die Redaktionen der Sender, holt sich aber
trotzdem weit häufiger Abfuhren ein als früher. "Die
meistgesprochenen
Sätze sind: Das ist toll, aber das kann ich nicht spielen, das
kennt ja
keiner. Oder: Super, finde ich wunderschön, aber das passt nicht
in
unser Format."
Am
schlimmsten ist es immer dann, wenn Rosita Falke deutschsprachige
Künstler zu promoten hat. Und noch ein bisschen schlimmer, wenn
sie mit
deren neuen Platten beim NDR vorspricht.
"In der
Regel gerade einmal zwei Prozent Musik in der Muttersprache",
so weiß der Medienberater und frühere Programm-Gestalter
beim einstigen
SWF 3, Michael Schmich, spielen Sender wie NDR 2. Und fügt an:
"Inzwischen sind die Öffentlich-rechtlichen weit fantasievoller
als die
Privatradios, wenn es um das Erfinden fadenscheiniger Gründe
dafür
geht, weshalb ein Titel nicht gespielt werden kann."
Nur zwei
von vielen guten Argumenten für den erneuten Ruf nach einer
Quote für deutschsprachige Musik im Radio. 6,6 Milliarden Euro
haben
ARD und ZDF im Jahre 2003 an Gebühren eingestrichen, 863 Millionen
davon fielen an den NDR, runde 30 Prozent darf der Rundfunk auf seinen
Konten verbuchen. Für diese 250 Millionen Euro, so sollte man
meinen,
sei der Auftrag, die Bevölkerung Norddeutschlands
staatsvertrags-gemäß
mit allen Facetten der Kultur aus Region und Land zu versorgen,
mühelos
erfüllbar.
Wäre
er auch. Wird er aber nicht! Seit die Privatsender Formatradio und
Hörer-Quote zum Maß aller Dinge ausriefen, hat der
Öffentlich-rechtliche Rundfunk erst zur Verfolgung, dann zum
Überholen
angesetzt. "Sender wie N-Joy", so Michael Schmich, "haben das Prinzip
der Formatierung auf die Spitze getrieben und fangen jetzt an, sich mit
der Konkurrenz im eigenen Hause zu kannibalisieren. Mit dem NDR 2
beträgt die Repertoire-Überschneidung schon jetzt gute 20
Prozent, zum
Leidwesen der Hörer."
Die
nämlich müssen entweder mit dem Einerlei leben oder auf die
schon
über 400 den unterschiedlichsten Stilen verpflichteten Sender im
Internet-Radio ausweichen. Das Dumme ist nur: Das erspart niemandem die
Rundfunk-Gebühr.
Der
phlegmatische Gebührenzahler macht es den Sendeanstalten bisher
leicht, sich mit dem leidigen Staatsauftrag nur dort zu befassen, wo es
dem eigenen Unternehmen nützt und ansonsten ihren
aufgeblähten Apparat
zu erhalten. Wer etwa als Journalist vom NDR eine Stellungnahme zur
Quoten-Diskussion wünscht, wird von einem Vorzimmer ins
nächste
verwiesen, bis er bei der Pressestelle landet. Dort sind zwei Dinge zu
lernen: Der Sender hält sich strengstens an den Feierabend um 17
Uhr,
und sein Pressesprecher, Ralph Coleman, darf einiges, aber nicht
für
den Sender sprechen.
Programmdirektor
Gernot Romann beantwortet Fragen zeitverzögert (und
hoffentlich persönlich) per E-Mail, Wellenchef Thorsten Engel ist
nicht
zu sprechen, NDR 2-Musikchef Fred Schoenagel verdaut wohl noch die
"Spiegel"-Vorwürfe, er produziere seine Jingles fürs Geld der
Gebührenzahler lieber in Los Angeles als in den hauseigenen
Studios.
Das ist
beim Marktführer Radio Hamburg anders. Dort darf die
Pressesprecherin Martina Müller tatsächlich ihrem Berufsbild
entsprechen und Auskunft zum Programm des Senders erteilen. Etwa zur
seit einem Jahr alle zwei Wochen ausgestrahlten "Deutschen Nacht".
Fünf
Stunden lang sind dort vorwiegend Newcomer der deutschen Popszene zu
hören, "weil deren Produkte von Jahr zu Jahr besser werden und
ihre
Chance verdienen".
Auf NDR 2
sind außer Grönemeyer, Söhne Mannheims und vielleicht
noch
Wir sind Helden die Reihen internationaler Pop-Belanglosigkeiten eng
gestaffelt und dürfen ihre oft patinierten Hits bis zum Erbrechen
repetieren. Zwar führt Gernot Romann, Programmdirektor
Hörfunk, seinen
Jugendsender N-Joy ins Feld, "der sich schon immer besonders intensiv
mit dem Thema Newcomer beschäftigte", die Erfahrungen seiner
Branchen-Kollegen wie der aufmerksamen Hörer sprechen indes eine
andere
Sprache.
"Bei
N-Joy", so Michael Schmich, "liegt der Anteil deutschsprachiger
Musik manchmal fast bei zehn Prozent" - allerdings zu Zeiten, da eben
diese Musik in den Album-Charts bei knapp 20 Prozent lag. "Und die
Tendenz", wie Schmich weiß, "geht ganz klar nach unten."
Während
die letzte Stadtpark-Saison in Hamburg mit ausverkauften
Konzerten von Wir sind Helden und Rosenstolz, Lotto King Karl und
Stefan Gwildis ihre Höhepunkte feierte, während die
monatliche "Lausch
Lounge" schon in größere Räume umziehen musste und dort
junge Künstler
wie Regy Clasen, Robin Grubert, Kira und Anett, aber auch ältere
Hasen
wie Michy Reincke präsentiert, hört der Hanseat in seinem
Haussender
keinen Ton der heimischen Pop-Szene.
Lediglich
Ausnahmen bestätigen die traurige Regel. Dass am 15. November
auf NDR 2 ein Radio-Konzert mit Regy Clasen ausgestrahlt wird, ist
allein dem nimmermüden Peter Urban zu danken. "Ohne solche Leute",
sagt
Rosita Falke, "böte das Radio wahrscheinlich gar kein Podium
für
Newcomer mehr."
Solange
der NDR also - wie auch alle anderen ARD-Rundfunkanstalten -
als beratungsresistente Behörde agiert, wird der Ruf nach einer
Quote
für Neuheiten und deutschsprachigen Pop nicht verstummen. Die
Mehrkosten für Redakteure und Moderatoren, die diese
Berufsbezeichnung
wieder verdienen, sind ja durch die nächste
Gebührenerhöhung eigentlich
im Voraus gedeckt.
Artikel
erschienen am 26. September 2004
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