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Ich über mich Olympia 1972
Essener Songtage 1968
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INTERNATIONALE ESSENER SONGTAGE 1968


Die Quelle des folgenden Textes ist die wunderbare Seite Néosphère von Eric Deshayes, eine ungewöhnlich umfang- und kenntnisreiche Darstellung der populären Musik der 60er bis 80er Jahre.

Ich habe den Text - leicht abgewandelt -aus dem Französischen übersetzt.
D.M.

Inzwischen hat Eric Deshayes seine Seiten über den "Krautrock" aus dem Netz genommen, weil er seine Arbeit in Buchform veröffentlicht hat:

Eric DESHAYES
Au-delà du rock
La vague planante, électronique et expérimentale allemande des années 70

Editions Le Mot et Le Reste
35, Traverse de Carthage 13008 Marseille
www.atheles.org/lemotetlereste

néosphère

Rolf-Ukrich Kaiser

Rolf-Ulrich Kaiser, Prophet der kosmischen Musik
 
Rolf-Ulrich Kaiser, der Gründer der legendären Labels OHR Musik und Kosmische Kuriere sowie Autor eines guten Dutzends
von Büchern über Popmusik,  Gegenkultur und Frank Zappa, ist eine der Schlüsselfiguren der jungen deutschen Musikrichtung,
die unter dem von den Engländern kreierten und zunächst durchaus spöttisch gemeinten Namen 'Krautrock' populär wurde.

Ausgangspunkt der Folklore-Bewegung in Westdeutschland war das Festival auf Burg Waldeck 1964. Zu dieser Zeit wird sich
Rolf-Ulrich Kaiser, aus Köln nach Waldeck gekommen, der sozio-politischen Rolle der Musik bewusst, ihrer Kraft, neue Ideen
zu verbreiten und die Entwicklung einer Gesellschaft voran zu treiben. Er beschließt also, sich in die Folk-Pop-Bewegung
einzubringen, und zwar mit Hilfe von Texten, der Organisation von Festivals und der Produktion von Schallplatten.

1967 veröffentlicht Kaiser das "Songbuch" (Ahrensburg-Paris : Damokles-Verlag, 1967), eine  Gesamtdarstellung der
internationalen Folk-Pop-Szene. Das Buch enthält vor allem Interviews ( z. B. mit Pete Seeger und Joan Baez)  und Textproben.

1968 wird er mit Martin Degenhardt und Thomas Schröder der Mitorganisator der berühmten Essener Song Tage. Vier Tage lang,
vom 25. bis zum 29. September 1968, bietet dieses Festival, an dem an die 40 000 Personen teilnehmen, ein ehrgeiziges Programm:
junge deutsche Rockgruppen wie Floh de Cologne, Guru Guru, Tangerine Dream, Amon Düül, Soul Caravan (später Xhol) treten
neben bekannten Größen aus der internationalen Szene auf: Tim Buckley, The Fugs, Paco De Lucia,  Julie Driscoll, dem deutschen Free-Jazzer Peter Brötzmann, Brian Auger und - zum ersten Mal in Deutschland -   Frank Zappa and The Mothers of Inventions.

Die Idee der Organisatoren war es, vor allem solche Künstler zu verpflichten, die am besten die Sprünge und Verwerfungen der
politischen und kulturellen Gegenwart reflektieren. So versucht im Rahmen des Festivals eine Ausstellung, die Bedeutung der Pop-
Folk-Musik und des 'Underground' zu verdeutlichen. Die Festival-Zeitschrift "Songmagazin" erscheint täglich. Sie wird zum Vorläufer
einer Reihe von Schriften, die R.-U. Kaiser im folgenden Jahr publiziert: Protestfibel. Formen einer neuen Kultur. Mit einem lexikographischen Anhang von Rolf-Ulrich Kaiser (Bern, 1968),   Fuck The Fugs, das buch der fugs (1969), Zapzapzappa  - das
buch der Mothers of invention
(Köln : Kinder der Geburtagpress, 1969); B ist doch ein Scheißer das beste aus der deutschen untergrundpresse  und  Das Buch der Neuen Pop-Musik (Düsseldorf, 1969). Gewissermaßen als Synthese aus seinen Schriften veröffentlicht Kaiser 1970 die Buch-Collage mit seiner programmatischen Botschaft: Underground ? Pop ? Nein ! Gegenkultur !
(Köln, 1970).  

1969 gründet er - mit finanzieller Hilfe des Herausgebers und Plattenproduzenten Peter Meisel (Direktor des Hansa Musikverlag) -,
das Label OHR Musik Produktion GmbH. OHR, dessen Verkauf in den Händen von Metronome Musik liegt, soll die Platten der experimentellen neuen deutschen Rockszene veröffentlichen, die gerade einen Boom erlebt.  Peter Meisel steuert die nötigen
finanziellen Ressourcen bei, während sich Rolf-Ulrich Kaiser um das Tagesgeschäft kümmert. "Macht das Ohr auf",  ist der Slogan
der jungen Plattenfirma, orientiert an der ständigen Forderung der BILD-Zeitung: 'Macht das Tor auf!' (Gemeint ist natürlich das
Brandenburger Tor, zu der Zeit unpassierbare Grenze zwischen der BRD und der DDR.)

Die erste Produktion, Fließbandbaby's Beat Show von Floh de Cologne, zeigt bereits die Leitlinien des Programms : eine
Mischung aus Folk-Musik, Kabarett und marxistischen Parolen. Später erscheinen bei OHR Musik zwischen 1969 und 1974
die ersten Platten von Floh de Cologne, Tangerine Dream, Ash Ra temple, Klaus Schulze, Guru Guru, Amon Düül,
Annexus Quam, Embryo
und der weniger bekannten Witthüser & Westrupp, Xhol, Birth Control, Mythos, Walpurgis...
OHR wird so zur Heimat der wichtigsten Gruppen, die in ihrer Gesamtheit bald von der englischen Presse unter der Sammel-
bezeichnung "Krautrock" zusammen gefasst werden - eine Bezeichnung, die - ursprünglich eher abwertend gemeint - bald
zum erstaunlichen Qualitätsbegriff mutierte.

Angesichts des Erfolges von OHR und der unleugbaren Fähigkeit Kaisers, neue Tendenzen in der populären Musik aufzuspüren,
schlägt die BASF ihm 1971 vor, einen ihrer Ableger, das Label Pilz (Markenzeichen: der wunderschöne Fliegenpilz auf jeder
Plattenhülle) zu übernehmen. Bei Pilz veröffentlicht Kaiser nun  unter anderem die ersten Alben von Popol Vuh und Wallenstein
Witthüser und Westrupp. In seiner ungebrochenen Aktivität  hört Kaiser aber gleichzeitig auch nicht auf zu schreiben und
veröffentlicht : Fabrikbewohner. Protokoll einer Kommune und 23 Trips (1970)  , Die Gegenmedien. Neue Modelle von
Kommunikation
(1970), Frank Zappa (Hoorn, 1971) bei einem holländischen Herausgeber und 1972 Rock-Zeit. Stars, Geschäft und
Geschichte der neuen Pop-Musik
(Düsseldorf/Wien, 1972). "Rock-Zeit" ist nach Wolfgang Layer Kaisers längstes und kritischstes
Werk über das ökonomische System, in dem die  Untergrundmusik langsam verfault (Produkt, Promotion, Produzent, Profit) - ein
System freilich, in dem Kaiser in mancherlei Hinsicht und durchaus mit Gewinn seine Rolle spielt...
 
Bruno Wendel und Gunter Korber, zwei Mitarbeiter von OHR, sind schließlich Kaisers Omnipräsenz offensichtlich leid:  er möchte
alles regeln und alles kontrollieren und lässt seinem Team kaum die Luft zum Atmen. Und so verlassen die beiden OHR im Jahre
1972, um ihr eigenes Label zu gründen,  Brain Records. Hier nehmen sie unter anderen Guru Guru, Klaus Schulze, Cluster,
Grobschnitt, Novalis, Harmonia
und Neu ! unter Vertrag, aber auch The Scorpions und Jane, die bald zu den großen Trümpfen
von BRAIN RECORDS werden.

1972 driftet R.-U. Kaiser dann aber in Richtung einer ebenso esoterischen wie säuerlichen Gegenkultur ab. Mit seiner Freundin 
Gille "Starmaiden" Lettmann, einer den okkulten Wissenschaften verpflichteten Kartenlegerin,trifft er Brian Barritt und Timothy
Leary.
Leary, der amerikanische LSD-Prophet, ist gerade in die Schweiz geflohen, um der C.I.A. - und zehn Jahren Gefängnis - 
zu entkommen. Diese "kosmischen Botschafter", wie sie sich seit Beginn der 60er Jahre nennen, haben sich zum Ziel gesetzt, 
"um die Welt zu reisen, um LSD 25 zu verteilen -  nicht um Geld damit zu verdienen, sondern um das Weltbewusstsein zu
entwicklen", dixit Brian Barritt.  

Der Kaiser und Gille Lettmann gehen in dieser kosmischen Religion völlig auf und widmen sich mit Haut und Haaren ihrer
Weiterverbreitung. Rolf-Ulrich Kaiser beschließt, in der Schweiz Aufnahmen mit Brian Barritt und Timothy Leary, Ash Ra
Temple
(Manuel Göttschingund Hartmut Enke), einigen ehemaligen Musikern der Agitation Free (Michael Duwe, Gesang und
Flöte; Dietmar Burmeister, Schlagzeug) und diversen anderen Gästen zu machen. Ergebnis dieser Aufnahmen ist das dritte
Album von Ash Ra Temple, 7up (Kosmischen Kuriere, 1973). Der Titel "7up" hat seinen Namen von einem Spiel  während der
Aufnahmearbeiten, bei dem es darum ging, eine Flasche Mineralwasser herumgehen zu lassen, in der man LSD aufgelöst hatte...
Für das Album gründet Kaiser ein Tochter-Label von  OHR Musik : "Die Kosmischen Kuriere" (auch  "Kosmische Musik" oder
außerhalb von Deutschland  "Cosmic Music" genannt ), dessen Hauptaufgabe er darin sieht, die Ideen von Timothy Leary zu
verbreiten.
Um Stoff für  Die Kosmischen Kuriere zu bekommen, verpflichtet Kaiser verschiedene Künstler von OHR : Manuel Göttsching,
Hartmut Enke
, den Tontechniker und Klavierspieler Dieter Dierks, Jürgen Dollase, Klaus Schulze und den Schlagzeuger
Harald Grosskopf. Sie nehmen offiziell zwei Platten auf: Tarot (Die Kosmischen Kuriere, 1973), mit Walter Wegmüller, einem
Zigeuner-Künstler, und Lord Krishna von Goloka (Die Kosmischen Kuriere, 1973) mit Sergius Golowin. Zurück in Berlin, nach tief
gehenden psychischen Erfahrungen, jammen die Musiker zusammen im Studio von Dieter Dierk, von Februar bis Mai 1973, ohne
dass das Ergebnis sie wirklich zufrieden stellen kann.. Ohne die Musiker zu informieren oder noch einmal zusammen zu holen,
beschließt Kaiser, die Bänder mit Hilfe von Gille Lettmann neu zu mischen und publiziert sie unter dem Gruppennamen The
Cosmic Jokers
... Nicht weniger als 5 Alben entstehen so.
 
Ab1973 beginnen dann mehrere Gruppen mit OHR zu prozessieren, weil verschiedene Vertrags-Unklarheiten bestehen und 
Tantiemen nicht gezahlt werden. Wallenstein führt einen Prozess gegen Die Kosmischen Kuriere. Edgar Froese von Tangerine
Dream will mit Kaisers seltsamer Religion nicht zu tun haben und verweigert ihm die Verwendung des Namens "Cosmic Music", 
an dem er die Vaterschaftsrechte beansprucht. Im Oktober1974 bricht Hölderlin den Vertrag mit Ohr - ihre Texte entsprechen
den Vorstellungen der Plattenfirma nicht mehr.

Diese Prozess-Serie wird zur "Affäre Kaiser". Sie wird von der deutschen Musikpresse aufgenommen, die ihrerseits R.-U. Kaiser 
auch noch wegen seiner Beziehungen zu dem zwielichtigen Timothy Leary angreift. Ruf und Glaubwürdigkeit Kaisers sind nun
ernsthaft beschädigt, und bald brechen die Aktivitäten von OHR Musik und Kosmische Kuriere in der Folge der juristischen
Probleme zusammen.

Schließlich beendet Kaiser nach der Veröffentlichung von Einsjager und Siebenjager (Kosmische Musik, 1975) von Popol Vuh
sowie eines 1975 mit Gille Lettmann zusammen entworfenen Tarotspiels (!), "The Legendary Star Maidens Tarot" alle künstle-
rischen und geschäftlichen Aktivitäten.
Bald gehen Gerüchte um, er sei in die Psychiatrie eingeliefert worden (exzessiver LSD
-Konsum?).

Sicher ist, dass Kaiser seit mittlerweile 25 Jahren nichts mehr von sich hat hören lassen. Angeblich ist er Anfang der 80er Jahre
auf der Buchmesse in Frankfurt gesehen worden..

Aber nun gibt es ein Lebenszeichen: Altmeister Werner Pieper, Szenen-Insider, Freund vieler Rockmusiker, Autor und Verleger,
hat in seinem Buch "Alles schien möglich. 60 Sechziger über die 60er Jahre und was aus ihnen wurde". (Der Grüne Zweig 252.,
Löhrbach: Werner Pieper und The Grüne Kraft 2007. S. 50-55) über seine beinahe erfolgreiche Suche nach Kaiser berichtet.
Laut Pieper lebt RUK  an immer wieder wechselnden Orten unter dem Namen Meson Cristallis, wohl völlig abgehoben von allem
Irdischen. Kontakt zur banalen nicht-kosmischen Welt hält Sternenmädchen Gille Lettmann. Ehe sie aber Auskünfte gibt, muss
man für sie einen Fragebogen ausfüllen...
 

Zum Weiterlesen: Wolfgang Layer, Klaus Schulze ...eine musikalische Gratwanderung (Buchverlag Michael Schwinn, 1986).
Ein Porträt von Rolf-Ulrich Kaiser als Auszug aus diesem Buch kann man bei Elektro Material  ansehen.

Und wem's Spaß macht: Auf der Internetseite  Tarot Garden kann man  "The Legendary Star Maidens Tarot" von Rolf-Ulrich Kaiser und Gille Lettmann bewundern...


© Eric Deshayes, néosphère 2001-2003


Lutz Neitzert, freier Journalist aus Neuwied, kam nach längeren Recherchen für eine WDR-Sendung anlässlich des 70. Geburtstags von "ruk" zu der Erkenntnis, dass der Kaiser verschollen sei...

zuletzt geändert: 04.01.2007