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Die Epoche der deutschen Klassik (1786-1832)

1. Begriff


Der Begriff "Klassik" bzw. "klassisch" hat mehrere Bedeutungen:

a.    etymologisch:
von lat. classicus: römischer Bürger der höchsten Steuerklasse,
dann: scriptor classicus: Schriftsteller ersten Ranges
b.    Klassik:
        antikes Altertum
        Blütezeit einer Nationalliteratur bzw. -kunst
        literaturgeschichtliche Epoche in Deutschland
c.    klassisch:
Ausdruck für zeitlos gültige, große künstlerische Leistung
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2. Personen und gesellschaftliche Basis

Die Ideen der Klassik wurden hauptsächlich von zwei Dichtern entwickelt und verbreitet: Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) und Friedrich von Schiller (1759-1805). Ort deren Zusammenarbeit war Weimar. Dort residierte Herzog Karl August (1775-1828) über das kleine Fürstentum Sachsen Weimar und Eisenach (ca. 100.000 Einwohner). Der Fürst war "aufgeklärt", d.h. er war bestrebt, für das Wohl seiner Untertanen zu regieren, obwohl er ein absolutistischer Fürst war. (So gab er 1816 als erster deutscher Landesherr seinem Land eine Verfassung). Sein besonderes Interesse galt der Kunst und Wissenschaft.
Karl August lud 1775 den 26-jährigen Goethe, den er ein Jahr zuvor kennen gelernt hatte, nach Weimar ein. Goethe war damals vor allem als Autor des 1774 erschienenen Romans "Die Leiden des jungen Werthers" bekannt. Am Hof zu Weimar wurde Goethe Vertrauter und Ratgeber des Herzogs, bald Minister. Neben seiner politischen Tätigkeit fand er viel Zeit zum Dichten und Forschen, er leitete das Hoftheater und unternahm zahlreiche Reisen. Einige davon führten ihn nach Italien (1786, 1788, 1790). Die Italienreise gehörte damals zum Bildungsprogramm junger Adliger und reicher Bürgersöhne. Goethe lernte in Italien die Antike (bzw. deren Überreste) mit eigenen Augen kennen, sie wurde von da an zu seinem entscheiden- den Vorbild. (Aus diesem Grunde setzt man auch den Beginn der deutschen Klassik 1786 an.)

Schiller, der aufgrund häufiger Krankheiten, politischer Verfolgung (wegen seines Stückes "Die Räuber") und ständiger Geldsorgen ein weniger geordnetes Leben als Goethe führen musste, wurde 1788 auf Betreiben Goethes als Professor für Geschichte nach Jena berufen. 1794 begannen Freundschaft und Zusammenarbeit mit Goethe. 1799 siedelte Schiller nach Weimar um.
Weimar stellte neben Leipzig und Hamburg eines jener geistigen Zentren im damals aus vielen Einzelstaaten bestehenden Deutschland dar. Reiche Bürger oder kunstbeflissene Fürsten ermöglichten es Künstlern, ohne materielle Sorgen und ohne Rücksicht auf den Massengeschmack ihre Ideen zu verfolgen. Der geistige Austausch in diesen Zentren blieb unbehindert und die Gebildeten nahmen an den kulturellen und auch politischen Ereignissen der ganzen Welt teil, über die man in Zeitschriften und Büchern berichtete. Dies führte zu einer geistigen Weite, für die man den Begriff "Weltbürgertum" prägte.

3. Grundideen

Wie die Aufklärung ging die Klassik von der Erziehbarkeit des Menschen zum Guten (Perfektibilität des Menschen) aus. Ihr Ziel war die Humanität, die wahre Menschlichkeit (das Schöne, Gute, Wahre). Doch der Mensch sollte nicht nur einzelne Tugenden (z.B. Toleranz, Nächstenliebe) besitzen, sondern einem Ideal zustreben, das mit den Begriffen "Harmonie" und "Totalität" umschrieben wurde. Dies bedeutete, dass alle menschlichen Kräfte und Fertigkeiten ausgebildet werden sollten: Gefühl und Verstand, künstlerisches Empfinden und wissenschaftliches Denken, theoretisches Erfassen und praktische Umsetzung (Totalität). Dabei sollten diese Eigenschaften aber nicht im Widerspruch zueinander stehen, eine auf Kosten der anderen bevorzugt werden, sondern eine ausgewogene Einheit bilden (Harmonie).

Verwirklicht sah man dieses Ideal in der griechischen Antike; die Griechen des klassischen Altertums hätten - jeder Einzelne und die gesamte Gesellschaft - ihre Kräfte allseitig und harmonisch entfaltet wie kein Volk zuvor oder danach.
Als einen weiteren Bereich, in dem das Ideal bereits Wirklichkeit sei, verstand man die Natur. Dieser Gedanke wurde vor allem von Goethe vertreten. Er verstand sich selbst in erster Linie als Naturforscher, nicht als Dichter. Zeit seines Lebens versuchte er die mannigfaltigen Er-scheinungsformen der Tier- und Pflanzenwelt auf bestimmte Urformen zurückzuführen (z.B. die Urpflanze), aus denen sich dann seiner Meinung nach die einzelnen, konkreten Formen durch Metamorphose entwickelt haben. Er entdeckte auch den Zwischenkieferknochen beim Menschen (Sutura incisiva Goethei). Das angebliche Fehlen dieses Knochens, der beim tierischen Schädel im Gegensatz zum menschlichen deutlich ausgeprägt ist, hatte vor Goethe als Beweis gegolten, dass der Mensch eine eigenständige Schöpfung der Natur (Gottes) sei. Durch seine Entdeckung zeigte nun Goethe Jahrzehnte vor Darwin den Zusammenhang zwischen Tier- und Menschenwelt und damit die Einheit ("Harmonie") der Natur.

Die Wirklichkeit betrachteten die Klassiker gegenüber ihrem Ideal als unzureichend. Sie verstanden sie als geprägt durch die Arbeitsteilung der Gesellschaft, die den Einzelnen nur auf bestimmte, seinem Beruf zugeordnete Tätigkeiten und Fähigkeiten festlegte (Spezialisierung). Entsprechend herrsche im Menschen selbst ein Zwiespalt zwischen Gefühl und Verstand, Pflicht und Neigung, Denken und Handeln. Deutschland galt als rückständig, provinziell, spießbürgerlich. Große Hoffnungen setzte man zunächst auf die Französische Revolution (1789), war aber dann von deren Verlauf, vor allem der Schreckensherrschaft enttäuscht.

Eine Änderung dieses Zustandes in Richtung auf das Ideals sei daher nicht durch eine revolutionäre Umwälzung der Gesellschaft zu erreichen (wie es die Französische Revolution versuchte), sondern durch die Veränderung des Einzelnen. Wie in der Aufklärung hielt man die Kunst für ein geeignetes Mittel, dies zu erreichen. Die Kunst sollte aber nicht nur die "Verzuckerung" der Pille sein, die unangenehme Lehren auf angenehme Weise nahe brachte. Die Kunst - so vor allem Schiller - veranschauliche das Ideal, sei ein "Vorschein" des Idealzustandes, seine Vorwegnahme im schönen Schein. Durch die Beschäftigung mit dieser Kunst sollten die Menschen allmählich diesem Idealzustand angenähert werden. Dabei nahm man in Kauf, dass dieses Unternehmen sich zunächst auf einen kleinen Kreis von Gebildeten beschränkte, einen Kreis, der sich mit der Zeit vergrößern würde.

4. Wirkungen auf das Schulsystem

Ebenfalls von den Ideen der Klassik beeinflusst und außerdem für die Geschichte des deutschen Schulwesens von entscheidender Bedeutung war der mit Goethe und Schiller befreundete Wilhelm von Humboldt (1767-1835). Während seiner Tätigkeit im preußischen Staatsdienst 1809 leitete er eine Reform des Schulwesens ein, wobei er besonderes Gewicht auf das Gymnasium legte. (Außerdem gründete er die Universität in Berlin.)

Gemäß dem Ideal der Klassik, der allseitigen und harmonischen Entfaltung des Einzelnen und der Gesellschaft, sollte die Schule nicht für einen bestimmten Beruf ausbilden. Eine zu frühe Spezialisierung verhindere die allgemeine Menschenbildung. Diese sei das eigentliche Ziel der Schulbildung und ohnehin die beste Voraussetzung für eine spätere Spezialisierung. Da die Allgemeinbildung nämlich zur Selbstständigkeit führe, sei es später kein Problem, sich auf die speziellen Anforderungen des Berufs einzustellen. Diesen Zielen entsprechend dürfe die Methode des Unterrichts nicht von Drill und Auswendiglernen geprägt sein, sondern von Motivation und selbstständigem Lernen. Der Erfolg dieser Bildung solle durch das Abitur überprüft werden. Das Abitur berechtigte dann zum Studium und höheren Staatsdienst. Eine besondere Rolle bekamen die alten Sprachen Latein und Griechisch. Dies hing mit der erwähnten Tatsache zusammen, dass die deutschen Klassiker in den Griechen der Antike ihr Ideal der Totalität und Harmonie verwirklicht sahen. Die Römer der Antike galten als Vorbild an Tugend, Tatkraft und Vaterlandsliebe.

Die Reform sollte alle Schulen umfassen, man konzentrierte sich aber in der Praxis auf die Gymnasien (Lehrplan, Prüfungsordnung, Lehrerausbildung). Das Schulsystem, auch das Gymnasium, hat seitdem viele Veränderungen erfahren. Dass der Humboldt'sche Bildungsbegriff dennoch überlebt hat, kann man noch heute in den Begriffen "Studierfähigkeit", "Basiswissen", "Allgemeinbildung", "erweiterter Qualifikationsbegriff", "Grundkurse", "Pflichtbelegung" erkennen, die in Richtlinien, Verlautbarungen und in der öffentlichen Diskussion immer wieder auftauchen.

5. Wirkung

Im 19. Jh. entfaltete die deutsche Klassik im Bildungsbürgertum eine ungeheure Wirkung. Zitate aus den Werken Goethes und Schillers wurden zu volkstümlichen Sprichwörtern. Die Lektüre der Klassiker wurde Pflichtpensum in den höheren Schulen, Schillers Dramen be-herrschten die Spielpläne der Theater. Dabei entwarf man allerdings ein idealisiertes Bild der deutschen Klassiker. Für die Brüche in ihren Leben und Werk, für das Kritische in vielen ih-rer Werke hatte man keinen Blick.