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Prophet der Beat-Generation, Poet und Enfant terrible: Allen Ginsberg
Viel geliebt, gelebt, geschrieben
Von VEIT MÖLTER
Geboren wurde Allen Ginsberg am 3. Juni 1926 in New Jersey. Seine Mutter war eine aus Russland stammende Intellektuelle und Marxistin, die allerdings später geistig stark verwirrt war. Ginsbergs Vater war Gymnasiallehrer in Newark, New Jersey. Nach dem Besuch der High School besuchte Allen mit einem Stipendium der Young Men‘s Hebrew Association of Paterson die Columbia University. Ende der 40er Jahre begann Ginsberg, Visionen zu haben, weshalb er für einige Monate ins Psychiatrische Institut, Columbia eingeliefert wurde. Nach kurzer Tätigkeit als PR-Berater in New York empfahl ihm sein Psychiater, allen Stress, alles Belastende zu meiden. Das tat Ginsberg dann auch und widmete sich fortan vor allem Drogen und Gedichten. Ginsberg zählte neben William Burroughs zu den bekanntesten Poeten der Beat-Generation. Sein wichtigstes lyrisches Werk heißt ,,Howl •and Other Poems“. Ende der 60er Jahre organisierte er die „Flower- Power“-Bewegung. Nachdem der politisch engagierte Dichter bei einer Vietnam- Demonstration verhaftet wurde, zog er sich zurück. In die Öffentlichkeit trat er fast nur noch, um sich für die Rechte der Homosexuellen einzusetzen.
  ,,Homer sang, Sappho sang,  ich singe, - sagt 
Allen Ginsberg,  rote Krawatte auf  rotem Hemd. 
In Mailand  las  der  Prophet  der Beat  Generati-
on, seit seinem Band » Das Geheul und andere
Gedichte" (1956) das  Enfant terrible für das pu-
ritanische US - Establishment, jetzt aus seinem 
„Poesie-Album“. 
In den Magazzini generali sprach der NRZ - Ita- 
lien - Korrespondent mit dem Autor von ,,Herz-
gesänge“, „ Überlegungen  zur  Poesie“  oder 
,,Der Untergang Amerikas“, um nur einige der
deutschen Ginsberg-Titel zu nennen.  Der Arzt
ließ  ihn  nach  Italien  ziehen,  aber der ,,Herz-
kasper" zwingt Ginsberg noch immer zur  Vor- 
sicht  und  täglich  mindestens  acht   Stunden 
Schlaf.

Ginsberg:„ Die letzte Stunde kommt näher.“

NRZ: „Angst ?“

Ginsberg: »Warum sollte ich? Man kann
nicht fürchten, was sicher ist. Ich bin
Buddhist, das hilft.“

NRZ: »Was erwarten Sie? Früher 
suchten Sie das Paradies in psyche- 
delischen Visionen.“

Ginsberg:  »Längst drangegeben. Je-
de Suche endete in der Hölle. Sich an 
nichts klammern, ist meine heutige 
Devise. Ich lebe mein Leben.“

NRZ: „Klingt weise. Da sind Sie kei-
ne Gefahr mehr fürs Establishment.“

Ginsberg: „Für diese Typen immer.
Ich werde von allen US-Medien zen- 
siert, sogar im Internet.Weil man die
Kinder  schützen müsse. Sie haben
Michelangelos David, sowie Catull,
Petronius, Jean Genet und Henry 
Miller aus dem Netz genommen. 
Auch mein Rap ‘Non fumar‘ wird
boykottiert, weil ich jungen Leuten 
zum Cunnilingus anstatt zur Zigaret-
te rate. Wovor muß man sie schüt-
zen – vor dem Lungenkrebs oder 
der Liebe?“



„Ich sah die besten Geister mei- 
ner Generation in Wahnsinn 
enden“  (aus:„ Howl. . .“)
______________________

NRZ: „Ginsberg als Rapper. Sie tre-
ten auch mit dem Komponisten Philip
Glass und Patti Smith auf.“

Ginsberg:  „Poesie ist heute weiter
verbreitet denn je -  die junge Gene- 
ration erfährt sie über die der Songs.
Auch beim Rap. Der Rhythmus ist 
das wichtigste von allem. Das Eins-
werden von Wort, Musik, Tanz hat 
es immer gegeben, vom griechischen 
Chor bis  zu den schwarzen Blues-
Musikern.“

 Wild und links - ein Bild aus
Bürgerschreckzeiten.
NRZ: „Trotz der Zensur glauben Sie weiterhin
an die Freiheit des Worts ?“

Ginsberg:. »Nur zwei Dinge werden die
Menschen immer tun: bumsen und reden.
Und da man vor der Liebe miteinander reden
muß, rettet sich das Wort. Es wird Wasser
und fließt zwischen den Steinen  der Macht
durch.“

NRZ: „Und die Poesie?“

Ginsberg:  »Auch sie. rettet sich. Vier
Dinge sind die Basis in jedem Menschen-
leben: Körper, Emotionen, Geist und Träume.
Ohne Träume überlebt man nicht, das ist
sogar wissenschaftlich erwiesen. Die
Menschheit braucht Traumbilder wies
Wasser.“

NRZ: „Früher träumten Sie von einer
besseren Welt.“

Ginsberg: »Erwartungen, die überall zurückgeschraubt wurden. Die
Gesellschaft ist heute weniger gefragt


„Es genügt nicht zu sagen die
Bombe wird fallen,

zu behaupten das Feuer wird ausgehen, wißt, daß die Erde
die Bombe madonnen wird“
(aus Howl.. ")



als das Spirituelle. Man träumt von Zuneigung
und Zärtlichkeit, möchte wohlgelitten sein.“

NRZ« „Aus dem Beatnik wurde ein Buddhist.“


Ginsberg: »Was den Buddhismus auszeichnet,
 ist seine Toleranz und Offenheit. Er hat keine Päpste, Rab-
biner, Ayatollahs wie die monotheistischen Religionen, die gegen die Befreiung der Sexualität und Gays sind.“

NRZ: „Prominente italienische Altertums-
forscher erklären sich zu Heiden.

Die offizielle Religionsvielfalt der rö- 
mischen Antike sei fortschrittlicher
gewesen als die Intoleranz monothe- 

istischer Religionen, sagen sie.“

Ginsberg: »Alle Fundamentalismen, 
auch die Hitlers, Stalins, Maos, stüt-
zen ihre Autorität auf eine allein se-
ligmachende Wahrheit.“

NRZ: „Am 3. Juni ist der Uni-Profes-
sor Ginsberg 70 Jahre alt geworden.“

Ginsberg: »Ich habe viel geliebt, ge- 
lebt, geschrieben und keinerlei Ge-
wissensbisse. Die Best-Kultur pro-



„Und ich bin der König des Mai 
weil ich einen Finger hob um 
ein dickes strahlendes Mädchen 
zu grüßen..."
(aus: „Kral Majales“)


testierte immer für etwas - offen, be-
geistert, ohne Kalkül. Als Pazifisten
 standen wir zwischen zwei Feuern. 

Die Marxisten hielten Rock und Blues
für ein kapitalistisches Komplott  -ei-

ne Droge gegen die Jugend. Die Beat- 
les wären gerne nach Kuba gegangen, 
aber Castro wollte sie nicht, weil er sie 
als ideologielos einstufte. Gleichzeitig
wurden sie jedoch in den Staaten des Kommunismus bezichtigt. Ihr einziger
Tort war: Sie machten den jungen 

Leuten Freude.“.

NRZ: „Brennt diese Begeisterung noch?“

Ginsberg: »Die Zensur in den Medien 
ist stark und die Jugend unfreier als 
in den 60er Jahren. Dennoch herrscht 
eine Aufbruchstimmung wie damals. 
Nur so ist es zu erklären, daß Clinton
jetzt wieder an Boden gewonnen hat.

NRZ  9. Juni 1996

 
s.a. den Beitrag von Lutz Neitzert zur SWF-Reihe "Zeitwort"   ,,Allen Ginsberg rezitiert Howl"