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1968 – für die, die
dabei gewesen sind, eine fast mythische Jahreszahl,
Anlass
für verklärende Rückblicke, Stolz auf die
eigene Dynamik
(damals!), Ersatz für die Kriegsberichterstattung der
Väter-Generation.„Damals,
als wir vor dem Springer - Haus die Barrikaden gebaut
haben...“– das
klingt so wie
„Weißt
du noch,
damals im Schützengraben ...“
1968 war kein
punktuelles
Ereignis
– es ist zur Chiffre geworden für eine Zeit des
Umbruchs und
Aufbruchs,
für eine Bewegung von unten, die dann
„oben“ durch Willy Brandt
aufgenommen
wurde mit dem Satz: „Wir wollen mehr Demokratie
wagen.“
Die erhebliche
gesellschaftliche
Sprengkraft der Jugendprotestkultur der späten sechziger bis
frühen
siebziger Jahre lag vor allem darin, dass die politische Diskussion mit
einer Revolution des Lebensstils Hand in Hand ging: Politisches
Gewissen,
Verstand, Witz und Lebenslust vereinten sich in den jungen Leuten zu
einem
zumindest in diesem Jahrhundert noch nicht da gewesenen
Lebensgefühl. |
Texte
z.T. nach dem Artikel "Jugend
Protest Kultur 1968"
von Dr. Thomas Mania (Rock'n'Popmuseum Gronau) im Katalog zu der gleichnamigen Ausstellung, die von 1999 bis 2000 in mehreren westfälischen Städten gezeigt wurde und versuchte, das Phänomen "1968" unter unterschiedlichsten Aspekten (Politik, Musik, Wohnen, Kleidung, Drogen) in seiner Erscheinungsform in Westfalen, vor allem dem zentralen und östlichen Ruhrgebiet, zu beleuchten. (Katalog S. 7-22) Ich habe
für diese
Ausstellung zwei Exponate beigesteuert.
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<> Erste greifbare Spätfolge der 1968-er Bewegung: Nach dem gescheiterten Misstrauensvotum gegen Willy Brandt und den anschließenden Neuwahlen wird die SPD zum ersten Mal in der Nachkriegsgeschichte stärkste Partei im Bundestag. Ausschlaggebend waren die Stimmen der jungen Wähler. |
Natürlich geschah das alles nicht Knall auf Fall. Schon in den frühen sechziger Jahren zeigten sich erste zaghafte Veränderungen, die auf ein Ende der Adenauer-Ära und damit der Nachkriegszeit hindeuteten - also einen Aufbruch zu mehr "Normalität". Es gab zu dieser Zeit durchaus schon Bestrebungen, Politik und Gesellschaft zu erneuern, frischen Wind in den Mief der fünfziger Jahre zu blasen. Solche Versuche wurden von den "68ern" aufgegriffen, die ihrereseits wie Katalysatoren wirkten - mit Folgen auch für die etablierten Parteien. Als später, mit der Verabschiedung der Notstandsgesetze, der große revolutionäre Schwung erst einmal vorbei war, wendeten sich viele der inzwischen politisierten Studenten der reformbereiten SPD unter Willy Brandt zu. "Willy wählen!" wurde zum Slogan einer Jugend, die bereit war sich politisch auch in den Parteien zu engagieren - ohne den ideologisch belasteten Hintergrund der APO- Wortführer. | ||||
Die Vorgänge in den sechziger Jahren fielen also nicht vom Himmel: sie müssen gesehen werden auf der Folie der Situation in den fünfziger Jahren, die geprägt waren vom Stolz auf die deutsche Tüchtigkeit, auf das "Wirtschaftswunder". Heimattümelnde („Heideröslein“, „Das alte Försterhaus“ usw.) oder von Fernweh erfüllte Schlagermusik (Caprifischer, "Jim, Johnny und Jonas" usw.) und des Heimatfilms („Wo der Wildbach rauscht“) offenbarten die weit verbreitete Sehnsucht nach einer heilen Welt, mit der die eigene Vergangenheit im Nationalsozialismus verdrängt werden sollte. Die Ausblendung dieses Traumas, das starrköpfige Nicht-wahr-haben- wollen der Tatsache, dass man einem Volk angehörte, das den größten und vor allem den ersten industriell organisierten Massenmord der Weltgeschichte zu verantworten hatte, verhinderte den Aufbau einer nationalen Identität mit der tief greifenden Folge, dass ein deutsches Selbstbewusstsein nicht entstehen konnte. Dies wiederum führte dazu, dass die Menschen selbst im Alltagsleben unsicher waren, Verhaltensmuster suchten. Deshalb erlebten z. B. Anstandsbücher einen ungeahnten Boom in den fünfziger Jahren, wurde eine Legationsrätin Erica Pappritz mit ihrem Buch "Etikette" (in dem sie die lange Unterhose für Männer ächtete...) zu einer bundesweit bekannten und zitierten Größe – vergleichbar nur noch dem Ruhm des Freiherrn von Knigge.... |
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Aber auch im Bereich der Politik wurden gesellschaftspolitische Themen bewusst vermieden. Im Vordergrund stand für die technokratischen Politiker der Aufbau einer blühenden Wirtschaft, was gleichzeitig eine bedingungslose Integration in die westliche Staatengemeinschaft unter Führung der USA und damit selbstverständlich auch einen rigiden Antikommunismus einschloss. Ein vielsagender Ausdruck dieses Verhaltens ist der erfolgreiche Wahlslogan der CDU aus dem Jahr 1957: „Keine Experimente“. (Immerhin, der Slogan "Weiter aufwärts wie bisher!" 1961 wurde von SPD- Sympathisanten mit dem Zusatz "mit den Preisen!" konterkariert...) |
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Neben den Verdrängungsmechanismen der Wirtschaftswunder- Mentalität formierten sich aber bereits in den fünfziger Jahren um einige „Reizthemen“ außerparlamentarische Oppositionen: Verbände von Veteranen, Kriegsopfern und Gewerkschaften. Mit der Verabschiedung der jeweiligen Gesetzesinitiative ebbte das Engagement der beteiligten Gruppen jedoch sehr schnell wieder ab. Nur aus den Demonstrationen gegen die Nachrüstung der Bundeswehr mit taktischen Atomwaffen erwuchs die langlebige Ostermarschbewegung, die allerdings so lange eine Randerscheinung blieb, bis sie im Sog der 67/68er Ereignisse noch einmal Bedeutung erlangte (Otto 1977, S. 61 / 143). Auch die Gewerkschaften hatten sich in den fünfziger Jahren gegen die Wiederbewaffnung und im Bündnis „Kampf dem Atomtod“ vehement in einer außerparlamentarischen Oppositionen (APO) engagiert, und die seit 1958 diskutierte, von der Großen Koalition schließlich durchgesetzte Notstands-Gesetzgebung wurde schon 1962 vom DGB strikt abgelehnt. Zum Bruch mit der studentischen Opposition kam es aber dann zwischen der zweiten und dritten Lesung der Gesetzesvorlage im Mai 1968, als der DGB sich weigerte zu einem Generalstreik aufzurufen.Trotzdem gab es in einer Reihe von Betrieben spontane Streiks der Belegschaft (Otto 1989, 8. 289). |
Dortmund, Demonstration gegen Notstandsgesetze 26.5.1965 Foto: Anton Tripp, Ruhrland-Museum Essen |
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In diesen insgesamt erzkonservativen, muffigen fünfziger Jahren hatten es Jugendliche schwer, Jugendbewegungen dieser Zeit konnten kaum nachhaltige gesellschaftspolitische Wirkung entfalten. Trotz der vielerorten beachteten Rock 'n' Roller- und Halbstarkenkrawalle mit schweren Ausschreitungen bewegten sie sich in einem ideologiefreien, gesellschaftskonformen Rahmen. Man probte die Auflehnung gegen die Langeweile und die Elterngeneration, ohne ein Konzept dagegen setzen zu können. Idole wie James Dean („Rebel without a cause – Denn sie wissen nicht, was sie tun“), Bill Haley („Rock around the Clock“) und Elvis Presley rüttelten noch sehr zaghaft an den Grundfesten der Geschlechterrollen und der Prüderie der Adenauer-Ära. Dennoch entwickelte sich erstmalig ein Selbstbewusstsein der Jugend, das auf amerikanischen Vorbildern basierte, ,,jugendgemäß“ und „amerikanisch“ wurden zu Synonymen. Wie später in den siebziger Jahren (z.B. bei der Vermarktung der Punk- Bewegung) bemächtigte sich die Konsumindustrie aber umgehend solcher stereotypen Selbstbilder der Jugend, indem sie die Identifikationssymbole (z. B. Jeans) kommerzialisierte und damit den jugendlichen „American way of life“ möglich machte, mit dem die Jugend Autonomie und Emanzipation zu erreichen hoffte. |
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Ab 1960 aber lässt sich eine zunehmende Politisierung der deutschen Bevölkerung, insbesondere der Gymnasiasten und Studenten, feststellen. Die Faszination des deutschen ,,Wirtschaftswunders“, die bisher alle Probleme verdeckt hatte, verlor an Strahlkraft, die Bundesrepublik trat in die natürliche Phase der alltäglichen Bewährung der Demokratie. Die Rezession 1966 beendete die Illusion vom ungehemmten Wirtschaftswachstum. Film und Literatur beschäftigten sich nun intensiver mit gesellschaftspolitischen Problemen: Das 1962 von zwei Dutzend Filmern wie Alexander Kluge, Peter Schamoni oder Edgar Reitz unterzeichnete Oberhausener Manifest («Der alte Film ist tot. Wir glauben an den neuen...») war nicht nur der Sturmlauf gegen das bundesdeutsche Kommerzkino und die Initialzündung für den neuen deutschen Autorenfilm: Die Rebellion der Regisseure wurde zugleich Wetterleuchten für kommende Umbrüche in der bundesdeutschen Gesellschaft. So repräsentieren junge Filmemacherinnen wie Chantal Akerman oder Helma Sanders-Brahms z. B. die aufkommende Frauenbewegung. Die Beatmusik zeigte die ersten Auswirkungen des seit den Halbstarkenkrawallen latent vorhandenen Protestpotenzials der Jugend. Vor allem aber die fehlende Aufarbeitung der NS-Vergangenheit belastete den natürlichen Generationenkonflikt aufs schwerste. Gerade in den Familien der Mittelschichten mit ihrem hohen Wert- und Moralanspruch an die Erziehung verkehrten sich die moralischen Normen der Kinder zu einer heftigen, oft starrsinnigen und selbstgerechten Kritik an der Elterngeneration und der Demokratie insgesamt, die sich nun an ihren selbst gesetzten hehren Zielen messen lassen mussten. Insbesondere der von den USA brutal geführte, imperialistische Ziele verfolgende Vietnamkrieg bot den Ansatzpunkt zur „Entlarvung“ des von vielen jungen Menschen als unerträglich empfundenen Widerspruchs zwischen demokratischen Idealen und der desillusionierenden Realität westlicher Demokratien. |
Die amerikanische Protestbewegung gegen den Viet-Nam-Krieg schwappte schnell nach Europa über und verstärkte die Protestbewegungen vor allem in Deutschland und Frankreich ("mai 1968"). Quelle:
The Sixties.
Eine Dokumentation der
University of Virginia. |
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Der daraus entstehende fundamentale Glaubwürdigkeitsverlust der gesellschaftlichen Autoritätsinstanzen, gepaart mit dem nicht hinterfragten elitären Sendungsbewusstsein der Aktivisten des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS), erklärt die unbeugsame Starrheit und die Intoleranz der nach ihrem eigenen Selbstverständnis eigentlich doch ganz antiautoritären Studentenbewegung. Zu den Faktoren, die zur Radikalisierung des linken, aber auch des rechten Spektrums (Erfolge der NPD bei Landtagswahlen!) der Gesellschaft in den sechziger Jahren beitrugen, zählte neben der ungewohnten wirtschaftlichen Unsicherheit auch ganz wesentlich die Bildung der Großen Koalition, die an Grundprinzipien des westlichen Demokratieverständnisses zweifeln ließ. Als Reaktion auf diese Koalition aus CDU/CSU und SPD unter dem aus der NS-Zeit nicht unerheblich belasteten CDU-Kanzler Kurt Georg Kiesinger ("Der Edel-Nazi- Kanzler" - Wolf Biermann, in: "Drei Kugeln auf Rudi Dutschke") fand sich mangels einer innerparlamentarischen Opposition (dem CDU/SPD- Block stand lediglich das kleine Häuflein von 50 FDP- Abgeordneten gegenüber) eine starke außerparlamentarische Opposition (APO) zusammen. Es handelte sich dabei allerdings um eine spontane Sammelbewegung ohne feste Strukturen. An dieser Subkultur waren u. a. die Ostermarschbewegung, die „Republikanischen Clubs“, die Bewegung gegen die Notstandsgesetze, die Studentenbewegung, die „Allgemeine Union sozialistischer Schüler“ (AUSS) und der „Underground“ beteiligt |
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Die Ereignisse des 2. Juni 1967, insbesondere die Tötung des Studenten Benno Ohnesorg durch den Berliner Polizisten und Stasi-Agenten Kurras auf der Demo gegen den Besuch des Schahs von Persien schufen eine breite Solidarität der einzelnen Gruppen. Die Proteste griffen vom Zentrum Berlin auf die gesamte Bundesrepublik über. In diesem einen Jahr, von 1967 - 1968, wurde der „Sozialistische Deutsche Studentenbund“ (SDS) mit seinem antiautoritären Flügel, vertreten durch Rudi Dutschke u. a., zur vereinigenden Kraft der Protestbewegung. Das Attentat auf Dutschke am 11. April 1968 trieb dann selbst die Gemäßigten auf die Straße - Wut und Trauer entluden sich in spontanen Aktionen gegen den Haupthetzer, das Verlagshaus Axel Springer. Trotz ihres Führungsanspruchs in diesen Jahren im SDS vermieden die ANTIAUTORITÄREN aber wirklich ernsthafte Diskussionen um den Entwurf eines stichhaltigen politischen Programms. Sie beschränkten sich auf das „Anti“ und konnten mit ihren naiven, illusorischen Vorstellungen einer Räterepublik keine echte Alternative zur bundesrepublikanischen Wirklichkeit entwerfen (Langguth 1976, S. 53). Der SDS scheiterte schließlich an seiner elitären Arroganz, die in krassem Gegensatz zu dem beanspruchten Ideal einer anti-autoritären Gesellschaft stand und vor allem keine Beziehung zur Arbeiterschaft fand, die dem Treiben der diskussionswütigen und absolut intoleranten SDS- Protagonisten völlig verständnislos gegenüber standen und sich von den Springer- Blättern (BILD, BZ) zu teilweise handfesten Aktionen gegen die Studenten aufwiegeln ließen. („Stoppt den Terror der Jung-Roten jetzt!“ titelte die "Berliner Zeitung" und forderte offen dazu auf die „Langhaarigen“ aus der Stadt zu jagen. Und bis in die tiefste Provinz wurde dieser Ruf begierig aufgenommen...) Feministische Gruppierungen waren die ersten, die sich vom SDS trennten: sie hatten es satt, statt der ständig propagierten Freiheit totale Repression durch die Männer zu erfahren. Populär wurden dagegen die Mitglieder der Westberliner Kommune 1 mit Fritz Teufel und Rainer Langhans, die in ihrem anti-bürgerlichen Lebensstil eines der schillerndsten und populärsten Beispiele der Lebensstil-Revolution abgaben. |
Foto: Werner Kohn, Deutsches Historisches Museum Berlin |
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Die
Kommune 1 -
hier mit
(v.l.) Fritz Teufel, Rainer Langhans und Uschi Obermeyer
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prägte
durch ihren bewusst antibürgerlichen Lebensstil die
Vorstellungen
von einer Wohngemeinschaft, mit der brave Bürger (nicht ganz
zu
Unrecht)
immer Gruppensex, Drogen und Anarchie assoziierten - Anlass zu
lautstarker
Stammtisch-Empörung (Langhaarige ausrotten oder zumindest in
den
Arbeitsdienst!)
und heimlicher, mit wohligem Gruseln vermischter Bewunderung. Der
Mythos
"1968" wurde sehr stark auch von dieser Gruppe geprägt. Foto:
Werner Kohn,
Deutsches Historisches Museum Berlin
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1970 löste sich der SDS schließlich auf – seine spektakulären Aktionen hatten eine Zeit lang verdeckt, dass die Basis dünn war, dass der Protest, obwohl er Ausdruck des Generationenkonflikts war, nur einen Teil der Jugend erfasst hatte: privilegierte Intellektuelle, Studenten, Künstler, Gymnasiasten aus der Mittelschicht. Dass die Proteste dennoch eine so große Wirkung hatten, erklärt sich vor allem aus ihrer fantasievollen Gestaltung und den gewalttätigen Ausschreitungen, die eine enorme Resonanz in den Medien fanden. Aber auch das publizistische Engagement von Intellektuellen und die spätere berufliche Tätigkeit vieler „68-er“ in sozialen, pädagogischen und psychologischen Berufsfeldern trug zur Verbreitung der Ideen erheblich bei. Nach dem Ende des SDS zerfiel die Bewegung in viele Fraktionen – neben der antiautoritären Linie vor allem neo-kommunistische Grüppchen, die sich untereinander heftig befehdeten, als gemeinsames Ziel aber die Politisierung der Arbeiterschaft hatten – ein Ziel, das nie erreicht wurde. Zum Erbe der Bewegung
gehörte auch der Terrorismus der
Bader-Meinhoff-Gruppe und später der RAF - zum Erbe
gehörte
aber auch der damals angekündigte "lange
Marsch durch die Institutionen".
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Quellen:
Allerbeck, K.R.: Soziologie radikaler
Studentenbewegungen.
München 1973
Bieling, R.: Die Tränen der Revolution. oO., o.J.
Glaser, H.: Deutsche Kultur 1945 - 2000. München 1997
Kleßmann, C.: 1968 - Studentenrevolte oder Kulturrevolution?
In:
Revolution in Deutschland? 1789-1989.
Göttingen 1991, S. 90 - 105
Krumrey, H.V.: Entwicklungsstrukturen von Verhaltensstandarden. Eine
soziologische
Prozeßanalyse auf
der Grundlage deutscher Anstands- und Manierenbücher von 1870
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1970. Frankfurt/M.
1984
Otto, K.A. Vom Ostermarsch zur APO. Frankfurt 1977
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